Die Wahrheit: Knall und Rauch, Rost und Soße
Der Frühling ist da, die große Krise fast vergessen und Deutschland haut das Fleisch auf den Rost. Die Grilltrends des Jahres 2020.
Freitagnachmittag, bei 27 Grad in irgendeinem Park irgendwo in Brandenburg. Allen Widrigkeiten zum Trotz ist mit den ersten warmen Frühlingswochen und den Lockerungen der Ausgangssperren die Grillsaison eingeleitet worden. „Wird auch Zeit“, meint Max Brät (52), der rubensbubenhafte deutsche Grillmeister in der Kategorie Hüftfleisch und zweifacher Europa-Champion im Spanferkeldrehen, den wir hier hinter einer beeindruckenden Rauchwolke antreffen. Erbärmlich japst er nach Luft.
„Ich habe die ganze … chhhhrhh … Coronazeit durch …hhchrrrhh … im Wohnzimmer … chr … trainiert“, sagt er. „Meine Lunge … chrrr … ist komplett … chrchrhhh … im Eimer.“ Zum Ende der Saison, so Brät, will er sie mit einer selbst entwickelten Rosmarin-Kräuterbuttersoße marinieren und auf den Rost hauen. „Grille … chrhh … als ob es … chrrr … kein Morgen gäbe!“, röchelt er noch, grinst und fällt tot um.
Schlechtes Timing, denn ausgerechnet in diesem Jahr geht der Trend in der Szene hin zum endgültigen Kohleausstieg. Heißt: weg von der schädlichen Grillkohle, hin zu noch schädlicheren Brennstoffen. Grund genug für uns, erst einmal einige Modelle auf Herz und Nierenspieße zu testen. Den Anfang macht ein besonderes Gelöt. Das NASA-zertifizierte Flaggschiff unter den neuen Luxusgrills, der Sirius 4000c, setzt auf Materialien aus der Weltraumforschung wie Hightech-Keramik und extrem hitzebeständiges Mondgestein.
Nettes Gimmick: die extra Kerosineinspritzung, um auch dem alten Grill_anzünder endgültig adé zu sagen. So geht Nachhaltigkeit 2020! Und das Ergebnis? Der Sirius kann eine Kuh frisch von der Weide weg binnen sechzehn Sekunden in lecker brutzelndes Schmacko-Fleisch verwandeln, so vermelden es jedenfalls die ersten Testesser hier im Park. Toll!
Gratishappen neben sengender Glut
Wir werfen umgehend das nächste Modell an und laden weitere Passanten zum Gratishappen in die Runde. Den notwendigen Abstand stellt die sengende Glut her. Das iranische Mid-Price-Gerät Arak ersetzt das althergebrachte Kohlebecken mit einem Kernspaltungskit, das zumindest unter Laborbedingungen ganze drei Grillabende durchhalten soll. Ersatzkits lassen sich für schlappe 90.000 Dollar oder belastende Informationen über westliche Führungskräfte ganz einfach im Darknet nachbestellen. Oder bei Amazon. Dort muss man allerdings vierzehn Tage warten.
Angenehm: Die über gespaltene Atomkerne freigeschaltete Energie des Arak sorgt für astrein und gleichmäßig durchgegrillte Putensteaks. Nachteil: Sie sind hochgradig radioaktiv und der Körper zersetzt sich nach dem Verzehr schneller, als er das Fleisch verdauen kann. Ideal für Griller, die den Moment leben. Unsere Testesser zeigen sich jedoch wenig begeistert und legen nach und nach die Köpfe auf die Bierbankgarnitur. Punktsieg für den Sirius.
Da nach der ersten Anwendung des Araks das begrillte Gebiet für circa 2.000 Jahre gemieden werden soll, verlassen wir den Park und machen uns auf gen Stadtrand, ab zu den Plattenbauten. Die Frage „Balkon oder Park?“ spaltet die Grillgemeinde nach wie vor in zwei Lager. Für die einen ist das Würstchenbrutzeln im Grünen die ultimative Grillerfahrung, für Leute wie Ingo Strang (37), vorbestrafter Betreiber des Blogs „Fleischgeruch“, gibt es hingegen nur eine Antwort auf die Location-Frage: „Balkon, janz klar“, sagt er, zieht die Luft durch die Zähne und ballt die Faust.
„Ick hab ne elektronische Fußfessel, weil ick letztes Jahr soner Pfeife im Park ’n paarma mit die Grillgabel inne Rippen jerammt hab und ihn dummerweise mit Knoblauch einreiben und auf den Grill legen wollte. Warn Versehen, verstehsse? Ausgerutscht. Hat die Richterin mir aber nich jegloobt, jetzt leg ich halt die nächsten Jahre hier oben meene Brocken uff, wa?“ Sagt er, knallt ein nicht identifizierbares Stück Fleisch mit zartrosa Haut auf den Grill und grinst uns lüstern an. Schmeckt nach Hühnchen, doch der Hunger treibt es hinein und so bekommen auch wir endlich etwas zu essen. Wobei die selbstgemachte Soße schon sehr nach blutigen Knöcheln schmeckt.
Wir verabschieden uns und ziehen weiter zu den Schrebergärten ins nahegelegene Vereinsheim des Brutzelfreundinnen e. V. Besuch bei Regina Rost (41). Die quirlige Frührentnerin ist Ehrenvorsitzende im ersten rein weiblichen Grillsportverein Deutschlands und hält die Fahne für das weibliche Geschlecht hoch – und das ist wortwörtlich zu verstehen. Lange Zeit waren Frauen beim Grillen lediglich für die ärztliche Notversorgung oder den Nudelsalat zuständig, jetzt dürfen sie jedoch endlich auch passend zum Beer Can Chicken Bierdosen leer trinken.
Glühende Kohlen mit bloßen Händen
„Das hat sich zum Glück geändert!“, sagt sie, drückt ihre Kippe in ihrem Kronus-Deluxe-Grillei mit Lotusbeschichtung aus und durchmischt die glühenden Kohlen mit bloßen Händen. „Würstchen gehör’n auf den Grill, nich inne Hose! Ist doch abartig.“ Sagt sie, bläst uns den Rauch ins Gesicht und schickt uns in die Küche, um für sie einen Nudelsalat zu machen.
Minütlich schlägt die Eingangstür gegen die Wand, und eine der Brutzelfreundinnen betritt grölend das Vereinsheim. Manch eine grüßt uns sogar rülpsend in der Küche oder kommentiert beim Bierholen unser Aussehen. Wir bedienen sie am Grill und kehren in den frühen Morgenstunden den Müll um die schnarchenden und nach Schnaps und Rauch riechenden Frauen zusammen. Ohne Dank für unseren aufopfernden Verpflegungseinsatz verlassen wir das Gebäude.
Zeit für einen Rückblick. Hinter uns liegt ein erfolgreicher Tag voll Feuer und Fleisch. Wir haben Leute kennengelernt, für die Grillen mehr als ein Hobby ist, Leute, die für ein gutes Flank Steak töten würden oder es vermutlich schon getan haben. Grillen, das wurde uns heute noch einmal klar, bedeutet Leidenschaft.
Wir verlassen die Schrebergartensiedlung, dann knallt es. Gartenzwerge kippen aus dem Stiefmütterchenbeet und Wäscheleinen flattern. Eine Explosion im Park, wo wir am Morgen noch waren, erhellt die Nacht, die Druckwelle reißt Dächer und Schornsteine aus den Einfamilienhäusern. Unsere Haut wird warm, und wir vernehmen einen metallischen Geschmack auf der Zunge. Kommt das vom Nudelsalat? Sei’s drum, mit so viel astrein gegrilltem Fleisch im Magen verdirbt einem so schnell nichts mehr die Laune. Gemütlich spülen wir das Metallaroma mit einem Schluck Bier herunter. Unser Job als Grillreporter ist getan, und so machen wir uns müde und mit vollen Bäuchen auf den Heimweg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?