Die Wahrheit: Premiere mit völkischem Feigling
Erschöpft, verwirrt und glücklich fühlt man sich nach der Uraufführung des eigenen Stücks – da schiebt sich ein fremder Mann heran …
S eit einiger Zeit habe ich das Bedürfnis, mich von ganzem Herzen bei einer mir nahestehenden Person zu entschuldigen. Bei mir selbst.
Vor Kurzem stand ich nach einer Premiere an einem niedersächsischen Staatstheater in der Gegend herum, so wie man nach Premieren eben herumsteht, vor allem, wenn es die eigene ist: erschöpft, verwirrt und glücklich, dass alles einigermaßen unfallfrei verlaufen ist. Plötzlich schob sich ein fremder Mann neben mich und fing an, mir seltsame Fragen zum Thema Migration zu stellen.
Dazu muss man erklären, dass ich in dem Stück die Geschichte meiner – auf deutscher wie jordanischer Seite – sehr zum Nomadentum neigenden Familie erzähle. „Sie glauben also, Migration ist etwas Gutes?“, fragte er mich scheinheilig.
In meiner Familie gibt es Araber, Deutsche, Kurden, Tscherkessen und Briten, die immer wieder aus unterschiedlichen Gründen ihren Wohnort gewechselt haben. Mal mussten sie fliehen, mal gingen sie freiwillig auf der Suche nach einem besseren Leben, mal wurden sie von ihren Eltern umgetopft. Davon hatte ich gerade auf der Bühne ausführlich erzählt. Für mich stellt sich eine solche Frage nicht. So wenig, wie die Frage, ob „Wetter“ oder „Luft“ etwas Gutes ist. Migration ist. Punkt. Er aber wollte von Terrorismus, Zwangs-ehen und Burkas sprechen.
Auf meine wiederholte Nachfrage, wer er sei, antwortete er, er wäre ein „interessierter Bürger“, er stelle nur Fragen, seien wir schon wieder soweit, dass man keine Fragen mehr stellen dürfe? Um dann die nächste dieser „Fragen“ zu stellen, die nur eine Behauptung war.
Irgendwann erkannte ihn jemand: Er war ein lokaler AfD-Funktionär. Da brannte bei mir eine Sicherung durch. Nicht weil ein Vertreter dieser Faschistenpartei mich angesprochen hatte. Hätte er sich als solcher vorgestellt, hätte ich ruhig gesagt: Danke fürs Nichtgespräch, tschüss! Was mich wütend machte, war, dass der Feigling die ganze Zeit nicht hatte zugeben wollen, wer er war.
Also brüllte ich ihn an, andere brüllten ihn ebenfalls an. Er gab erst den Coolen, um dann ebenfalls relativ schnell zu entgleisen. Und so endete der Abend laut und turbulent und mit einer für Niedersachsen doch beeindruckenden Eruption von Emotion und Leidenschaft. Noch am selben Abend ärgerte ich mich wahnsinnig darüber, dass ich so ausgerastet war. Es war mir peinlich.
Genau dafür muss ich mich nun bei mir entschuldigen. Dafür, dass ich kurzzeitig dachte, es sei falsch gewesen, laut geworden zu sein. Au contraire: Man muss diese Typen anbrüllen. Um klar zu machen, dass nichts an ihnen normal ist und gesittetes Benehmen verdient. Nicht ihr Rassismus, nicht ihr Hass, nicht ihr Versuch, Menschen einzuschüchtern, nicht ihr Nazi-Vokabular, das letztlich Menschen tötet. Nichts daran verdient einen gepflegten Konversationston. Gar nichts.
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