Die Wahrheit: Dumm rät gut
Gewinnspiele im Fernsehen sind oft so hirnrissig, dass man sich fragt, welche Idioten dabei mitmachen und – schlimmer noch – falsche Antworten geben?
O hne Zweifel bedrohen Fake News den gesunden Menschenverstand bis aufs Äußerste. Aber es gibt eine Bedrohung, die besonders jene Zeitgenossen spüren, die Tag für Tag mit der Enträtselung der Welt beschäftigt sind. Ich zähle mich zweifellos dazu und kann schwer an einem Sudoku oder Kreuzworträtsel vorbeikommen, ohne den Stift in die Kästchen zu tauchen. Und solange man bei gesuchter europäischer Hauptstadt mit vier Buchstaben noch zwischen Wien und Oslo schwanken kann, ist eine geistige Minimalanforderung gegeben. Da kann schon noch was schiefgehen.
Anders aber sieht es bei manchen Preisausschreiben aus. Erste Abgründe taten sich für mich auf, als vor einiger Zeit in der Werbepause einer Fußballübertragung nach einem argentinischen Nationalspieler gefragt wurde. Zur Auswahl standen „Di Maria“, „Der Josef“ und „De Jupp“. Selbstverständlich habe ich sofort bei der entsprechenden Telefonnummer angerufen – ein Akt, um mich quasi reinzuwaschen von jeder Schande, dass ich eventuell daneben liegen könnte mit der richtigen Antwort. Oder gibt es tatsächlich einen argentinischen Nationalspieler, der Angel de Jupp heißt?
Wahrscheinlich rufen bei solchen Gewinnspielen nur dumme Leute an und nennen eine der dummen Lösungen, weil sie begeistert sind, endlich Dummes tun zu können und sich dabei gut zu fühlen, obwohl sie eine Gebühr bezahlen und auch wissen, dass sie nie gewinnen können. Gewonnen habe ich jedenfalls nichts.
Nun war ich neulich in der Apotheke und sah einen Gewinn versprechenden Flyer der Linda-Apotheken auf dem Tresen liegen. „Gewinnen Sie Ihre Auszeit“, wurde der Rätselfuchs in mir gelockt, und – schwupp! – steckte ich das Blatt ein. Für einen der fünfzig Preise, die es zu gewinnen gab, war die folgende Frage zu beantworten: „Was sollte in jedem Reisekoffer mit dabei sein?“ Und als Antwort standen drei Dinge zur Auswahl: a) Mikrowelle, b) Reiseapotheke und c) Bürostuhl. Es sei nur eine Antwort richtig, lautete ein dezenter Hinweis, und die angehängte Postkarte sollte mit dem Kennwort „Gewinnspiel ‚Reiseapotheke‘“ eingesandt werden.
Warum aber machen die das? Sind unsere Apotheken eigentlich noch an der mentalen Gesundheit ihrer Klientel interessiert? Oder vermutet man in Apothekerkreisen mittlerweile eine flächendeckende Demenz bei den Kunden? Oder sind Mikrowellen und Bürostühle für Pillendreher irgendwelche Fallen, mit deren Hilfe sie einem bewusstseinserweiternde Präparate andrehen wollen?
Vielleicht aber ist schon die Kategorie „Rätsel“ für derartige Fragen unzutreffend. Und „Gewinnspiel“ trifft es auch nicht recht, denn vierzig der fünfzig Preise sind läppische Reise-Hygienesets mit nicht gerade hochwertigen Deos, Duschgels und Body-Milks. Nicht mal eine Duschhaube ist dabei. Wie aber soll man dieses Zeug noch in den Reisekoffer kriegen, wenn da schon eine Mikrowelle und der Bürostuhl drin sind?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind