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Die WahrheitIgitt, Hitler augenlos!

Echt jetzt? Wie Tiere nach prominenten und pestigen Zeitgenossen benannt werden. Selbst dem GröFaZ ist ein Käfer gewidmet.

Einmal hitleri, immer hitleri: Führerkäfer, blind Foto: Michael Munich/CC

Hamburger Forscher haben eine jüngst entdeckte Spinnenart nach Karl Lagerfeld benannt: Jotus karllagerfeldi. Wie begründen sie ihre Wahl? „Die Spinne trägt Zopf, lispelt und hat einen schönen Penis“, sagen sie natürlich nicht. „Sie lebt mit einer Katze zusammen, hat Claudia Schiffer entdeckt und ist bisexuell“, ebenfalls nicht. Stattdessen fabulieren sie von minimalistischem Stil und den Farben Schwarz und Weiß. Was man halt so sagt.

Der Spinne ist’s egal, und Lagerfeldi kann sich nicht mehr wehren, das ist eine der Schattenseiten des Totseins. Andererseits befindet er sich in nicht unbedingt guter, aber doch halbwegs prominenter Gesellschaft: Eine seltene Froschart aus Ecuador wurde nach Prinz Charles benannt, eine Assel nach Freddie Mercury, eine Pferdebremse nach Beyoncé, ein augenloser Käfer kam 1937 zu dem Namen Anophthalmus hitleri – ja genau, nach dem Hitler, was sich im Nachhinein gewiss in ein Meisterstück subtilen Widerstandes gegen das Naziregime hätte umdeuten lassen.

Für den nicht Spinnenkundigen sieht die neue Spinne auf den ersten Blick aus wie jede andere Spinne auch. Bei Spontanbegegnungen müssen zunächst Ekel, Fluchtreflex und Tötungsimpuls niedergekämpft werden. Das ist eine Kulturleistung! Einige vermögen noch einen Schritt weiterzugehen und die Spinne als „irgendwie interessant“, als „auf ihre Art schön“ oder gar als „Wunder der Natur“ zu bezeichnen.

Sympathischer Gliederfüßer

Sollte die Spinne im Erstgespräch darauf hinweisen, dass sie noch unbekannt und namenlos ist, darf man sich auf Namenssuche begeben. Findet man den Gliederfüßer sympathisch, wird man dafür nur Prominente in Betracht ziehen, die man ebenfalls sympathisch findet. Weil die Regeln zur Benennung von Tierarten unübersichtlich und umstritten sind, hat man dabei weitgehend freie Hand.

Der oder die Prominente muss offenbar nicht gefragt werden, was dazu führen kann, dass eine neue Art von Zecken oder Wanzen den Namen bekommt, weil der Entdecker Zecken oder Wanzen toll findet. Natürlich sind auch umgekehrte Fälle möglich: Man hat etwas entdeckt, was einem überhaupt nicht gefällt. Es ist hässlich, stinkt, sticht oder hat einem gerade ein Bein abgebissen, mit dem es jetzt fröhlich am Ufer herumtollt – da wird man nicht den Namen seines persönlichen Lieblingsprominenten nehmen wollen.

Als Prominenter steht man vor dem weiteren Problem, dass im Grunde nur noch unansehnliches Kleinstgetier entdeckt wird. Alles Respektable, Mächtige, sexuell Attraktive ist schon längst vermessen und beschrieben. Mit der Entdeckung neuer Arten von Löwen, Delfinen oder Adlern ist nicht zu rechnen. Es sitzen auch keine kleinen knopfäugigen Knuddelwuschelnagetiere mehr unerkannt im Unterholz, die man auf der Stelle adoptieren und Greta nennen möchte. Stattdessen: Schaben, Käfer, Fliegen. Auch in den finsteren Tiefen der See treiben sich nur noch bizarre Nano-Wesen herum, die mit der Sammelbezeichnung Plankton noch gut bedient sind.

Käfer Chemnitz

Die Namensgebung will gründlich durchdacht sein. Denn es bleibt bei der Erstbenennung, komme, was da wolle. Man kann es sich nicht später noch einmal anders überlegen, weil der Lieblingsprominente sich daneben benommen hat und deshalb nicht mehr der Lieblingsprominente ist: Der Name bleibt. Deshalb heißt das blinde Insekt auch weiterhin nach dem „größten“ Führer aller Zeiten, da kann man nix machen. Einmal hitleri, immer hitleri. Es ist ein klares Prinzip, das, gälte es auch in anderen Bereichen, manches einfacher machte. Wäre zum Beispiel Chemnitz ein Käfer, hätte es nicht zwischenzeitlich Karl-Marx-Stadt heißen müssen.

Mitunter kommt es zu Konstellationen, bei denen nicht irgendwann irgendwer was zu mäkeln hat, sondern alle Beteiligten dauerhaft zufrieden sind. Zum Beispiel beim sogenannten Eisernen Kanzler, dem Zeitgenossen irgendwann den Namen eines schmackhaften sauer eingelegten Fisches gaben. Als Fürst Otto von Bismarck lebte er zufrieden bis an sein Ende, und auch der Bismarck-Hering macht bis heute keine Anstalten, den Nachfahren des Fürsten, die wahrlich nicht alle überzeugende Existenzen sind, seinen Namen wieder zu entziehen.

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