Die Wahrheit: Unwählbarer Idiotenhaufen
Was macht die AfD gerade in Zittau so unbeliebt? Eine Spurensuche in der designierten Kulturhauptstadt Europas.
Fast überall in den neuen Bundesländern hat die AfD bei der Europawahl 2019 Triumphe gefeiert. Nur in Zittau in der Oberlausitz geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung: In der Kleinstadt, die sich für 2025 als europäische Kulturhauptstadt bewirbt, liegt die AfD mit 0,002 Prozent der Wählerstimmen noch deutlich hinter den Splitterparteien Freie Bürger Zittau (0,3 Prozent) und Zittau kann nicht mehr e. V. (0,6 Prozent). Nach neuesten Umfragen würden inzwischen sogar nur noch 0,00001 Prozent der Zittauer die AfD wählen. Wie ist das möglich?
Zittau im Frühling: ein Bild des Friedens. Blondgelockte Kinder tanzen Ringelreihen vor dem Rathaus, dralle Kellnerinnen servieren den Touristenscharen im Ernst-Thälmann-Biergarten lactosefreie Softdrinks, eine Gänsefamilie watschelt mitten durch die verkehrsberuhigte City, und hoch über dieser Szenerie schwebt ein blauer Heißluftballon mit der Aufschrift „Love is all you need“.
„Eeeeeeextrablatt!“ ruft ein junger Mann, der den Zittauer Kurier verkauft. „Bruttosozialprodukt in Zittau um dreißig Prozent gestiegen! Eeeeeeextrablatt!“ Die Ausgabe findet reißenden Absatz, obwohl hier schon längst niemand mehr daran zweifelt, dass Zittau „einen Lauf hat“, wie man in Journalistenkreisen sagt.
„Ja, bei uns in Zittau ist die Welt noch in Ordnung“, sagt Fridolin Zschüchow vom städtischen Verschönerungsverein Zittau blüht auf e. V. und uriniert auf den Kriechenden Günsel vor dem neueröffneten Lesbencafé, um ihn besser gedeihen zu lassen. „Null Kriminalität, null Arbeitslosigkeit und stattdessen in allen Bereichen ein spürbarer Wohlfühlfaktor …“
Wampe in den Grenzen von 1937
Tatsächlich haben Reihentests ergeben, dass die Menschen nirgendwo in Deutschland so zufrieden sind wie in Zittau. Und das wirkt sich zwangsläufig auch auf das Wahlverhalten aus: Rechte Protestparteien haben keine Chance. Erst recht nicht, wenn ihre Vertreter sich so närrisch gebärden wie Udo Graczinsky und Sigurd Präätzsch vom Zittauer Ortsverband der AfD. Graczinsky, ein ehemaliger Bierkutscher mit Mohrrübennase und Blumenkohlohren, tritt gern „oben ohne“ auf, damit man das große Tattoo auf seiner Wampe sieht: eine Landkarte, die Deutschland in den Grenzen von 1937 zeigt. Im Europawahlkampf forderte er die Bundeswehr dazu auf, Pläne für den Einmarsch in Polen auszuarbeiten, und für den Fall seiner einstigen Wahl zum Bundeskanzler kündigte er „einen geheimen Graczinsky-Putin-Pakt“ an.
Präätzsch hingegen ist ein millionenschwerer Furzkissenfabrikant mit besten Kontakten in die internationale Furzkissenfabrikantenszene und verfolgt vor allem das Ziel, im Zentrum von Zittau einen goldenen, 850 Meter hohen „Präätzsch-Tower“ zu errichten. Die Baubehörde, die das nicht zulassen will, überzieht er seit Jahren mit Klagen. Da er stets auf Krawall gebürstet ist, hat er in sämtlichen gastronomischen Betrieben von Zittau Lokalverbot. Zuletzt machte er von sich reden, als er die Öffentlichkeit via Twitter über alle Einzelheiten seiner Hodenbruchoperation informierte.
Kein Wunder, dass die Zittauer solchen Politikern kein Vertrauen schenken. Fragt man die im Abendsonnenschein auf der prächtigen Nelson-Mandela-Allee im Herzen der Altstadt promenierenden Einwohner nach ihrer Meinung zur AfD, so hört man durch die Bank vernichtende Urteile: „Diese Partei ist doch ’ne Lachnummer“ (Agnes B., 53, Hausfrau). „Für uns weltoffene, liberale, fortschrittliche, humanistische, friedliebende und demokratisch gesinnte Zittauer ist dieser Idiotenhaufen absolut unwählbar“ (Karl-Peter G., 47, Metzgermeister). „Die Grünen find ich voll super, und die Linke und die SPD, na ja, geht so, die CDU is’ eher nich’ so mein Ding, und die AfD is’ echt voll kacke“ (Leonie D., 17, Hauptschülerin). „Ich hab ja den Führer noch selbst erlebt, nicht wahr, fümmenvierzig, da war er zwar schon, sagen wir mal, ein gebrochener Mann. Aber mit einem eisernen Willen! Da kommen die Milchgesichter von der AfD nicht mit!“ (Konrad W., 91, ehemaliger Flakhelfer).
Stimmen aus dem Volk, die alle das gleiche besagen: Hier bekommt die AfD keinen Fuß in die Tür. Und wie wir gerade hören, hat die Zittauer AfD jetzt auch noch ihre beiden prominentesten Repräsentanten verloren: Udo Graczinsky ist zur Aktionsfront Befreite Zone übergetreten, die in Mittelherwigsdorf am Rietschebach eine Frittenbude betreibt, und Sigurd Präätzsch hat alle Parteiämter niedergelegt, um sich mit ganzer Kraft dem bevorstehenden Börsengang seiner Furzkissenfirma widmen zu können. Nun hat die AfD in Zittau bloß noch ein einziges Mitglied: Matteo Szmyrnach, Bademeister, der zur Zeit wegen Einbruchdiebstahls eine fünfjährige Freiheitsstrafe im Pritschenhaus der Zittauer Volkspolizei verbüßt. Von der Zittauer AfD lernen, heißt verlieren lernen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug