Die Wahrheit: Schmunzelnder Weltenschänder
Der Fälschungsskandal um den „Spiegel“-Journalisten Claas Relotius wird endlich mit prominenter Besetzung verfilmt.
Weltweit steigen die Ursachen für Flucht und Emigration. Die Permafrostböden tauen auf und setzen noch mehr CO2 frei. Antibiotika wirken nicht mehr. Hinter diesen katastrophalen Nachrichten erscheint zum Glück ein gewaltiger Silberstreif am Horizont: Die Kinofabrik Ufa will den Fall Relotius verfilmen. Vorlage wird das im Herbst erscheinende Buch „Tausend Zeilen Lüge“ seines Kollegen Juan Moreno sein, das sich mit ebendiesem Fall beschäftigt.
Claas Relotius, wir erinnern uns dunkel, war ein erfolgreicher Journalist, der seinen Reportagen für prominente deutsche Presseorgane die eine oder andere Prise Fantasie beimengte, die das Ganze überhaupt erst genießbar machte. Dafür wurde der Mann arg angegangen, obwohl er nur beherzigt hatte, was auch alle seine Kollegen schon immer taten: Papier ist geduldig, der Leser ist es nicht. Folgerichtig gibt es selbst in dieser Zeitung gerade mal eine Seite, auf der garantiert die Wahrheit steht. Und das ist immerhin schon eine Seite mehr als in allen anderen Blättern zusammen.
Schlichter Schachzug
Doch natürlich bietet die Verfilmung die einmalige Gelegenheit, nun endlich auch die menschliche Seite von Claas Relotius zu zeigen, die in dem Kesseltreiben derjenigen, die bislang noch nicht erwischt wurden, unterzugehen drohte. So hat die Öffentlichkeit stets den Satan, den Verbrecher, den Weltenschänder Relotius vor Augen und gar nicht mehr den Menschen, den es ja ebenfalls gibt: den Claas Relotius, der gern mal über einen gelungenen Witz schmunzelte, der oft und lange sinnierend aufs Meer hinausblickte (um anschließend augenzwinkernd zu berichten, er hätte einen Parkplatz besichtigt), oder einfach mal ein kühles Malzbier trank.
Mit einem schlichten Schachzug bringt uns das Drehbuch ein weitaus vielschichtigeres Bild der Person Relotius und ihrer Motive näher: Denn erzählt wird die Handlung aus der Sicht Hannas (gespielt von Jasna Fritzi Bauer), einer jungen Sekretärin beim Spiegel, die immer Relotius’ Spesenabrechnungs-Mails weiterleitet. Sie berichtet, wie freundlich, wie charmant, wie rücksichtsvoll der Vielgescholtene sich gerade gegenüber den kleinen Angestellten im kalten und unpersönlichen System Spiegel verhielt. Ganz nebenbei erfährt man, dass Claas Relotius sich vegan ernährte, keinen Alkohol trank und dem Kätzchen der Tochter seiner Putzhilfe eine teure Augenoperation bezahlte – anonym versteht sich, er stand nicht gern im Mittelpunkt, und Hilfe war für ihn stets etwas Selbstverständliches.
In der Badewanne ertränkt
Jammerschade, dass Bruno Ganz schon tot ist, der es bekanntermaßen wie kein Zweiter verstand, einer bis dahin durch und durch dämonisierten Figur neue und überraschende Facetten hinzuzufügen. Aber einem Matthias Schweighöfer wird das sicher kongenial gelingen. Wem sonst, wenn nicht ihm? So sehen wir dem Mimen staunend dabei zu, wie er eine zögernde alte Dame noch schnell bei Rot über die Straße geleitet und ihr anschließend den Angstschweiß von der Stirn wischt. Einfach so. Ihren Dank wehrt er mit einem nonchalanten Lächeln ab. Er hat nur seine Pflicht als freier Spiegel-Autor getan.
Freilich bleibt der Film kritisch und betreibt keine undifferenzierte Reinwaschung. So gibt es durchaus auch irritierende Momente, wie den, als Relotius einen hilflosen Epileptiker in seiner eigenen Badewanne mit der Hand so lange unter Wasser drückt, bis er ertrinkt, um daraufhin ein aufwühlendes Stück über den Alltag der Rettungsschwimmer an der französischen Atlantikküste zu verfassen. Schließlich muss er fühlen, um zu begreifen; begreifen, um zu schreiben; und schreiben, um zu fühlen.
Albträume in Rückblende
Des Weiteren gibt es seltsame Andeutungen über eine nie aufgeklärte Mordserie an Prostituierten, die Regisseur Henckel von Donnersmarck in wiederkehrenden Albtraumsequenzen aufblitzen lässt. Hier kommt nun Juan Moreno (George Clooney) ins Spiel. Man sieht ihn nachts in seiner Kemenate übermüdet am Schreibtisch sitzen. Im Kerzenlicht schiebt er auf einem weißen Blatt stundenlang Ausschnitte von Spiegel-Artikeln hin und her, um sie am Ende mit einem Klebestift zu fixieren. Doch dann zeigt eine Rückblende den zehnjährigen Claas, wie er in einem Brief an das Jugendamt die häuslichen Verhältnisse beschönigt, um seine depressive Mutter zu decken. Damit dürfte die wohl herzzerreißendste Szene von „Denn sie wissen, was sie tun“ (Arbeitstitel) genannt sein.
Die Botschaft ist klar, ein Lehrfilm wider die Folgen der Hexenjagd: Ein Relotius mag seine Ecken und Kanten haben, doch er ist längst nicht das Monster, zu dem ihn eine selbstgerechte Meute stempeln will. Da können die Leute sagen, was sie wollen. Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Vorzugsweise in den nächsten Spiegel.
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