piwik no script img

Die WahrheitGenesis und Galatea

René Hamann
Kolumne
von René Hamann

Im Rheinischen steht ein Bauernhaus, und in der Diele steht ein Pferd. Wenn das mal nicht ein Traum von geradezu biblischen Ausmaßen ist.

D a steht ein Pferd auf dem Flur. Das ist seit dem Nordseeküsten-Schlagerduo Klaus & Klaus soweit bekannt, überraschend ist nur, dass sich das Pferd im Obergeschoss des Hauses meiner Großeltern befindet. „Da steht etwas in der Garage und guckt“, wäre ja noch ein rechtschaffener Satz gewesen, aber hier guckt etwas in der engen Diele dieses ehemaligen rheinischen Bauernhauses. Ein stattliches, dunkles Pferd. Ein Friese. Ein schönes Tier. Wie aber kommt es hier her? Und, viel wichtiger, wie kommt es hier wieder raus?

Ich öffne die Augen und schaue in die Bibel, die praktischerweise auf dem Nachttisch liegt. Leider kommt dieses „Buch der Bücher“ oft ziemlich verdreht daher. So heißt es etwa im Buch Genesis: „Es werde Licht. Und es wurde Licht.“ Das war am ersten Tag der großen Welterschaffung. Dreizehn Verse später heißt es: „Gott machte die beiden großen Lichter, das größere, das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne.“ Das Licht wurde also schon am ersten Tag angemacht, die Sonne selbst gab es aber erst ab Tag drei. Zwei Tage Licht ohne Sonne! Die Funzel unseres kleinen Sonnensystems wurde mitsamt dem Erdtrabanten also erst im Nachhinein angeschraubt, „damit sie über die Erde hin leuchtet, über Tag und Nacht herrscht und das Licht von der Finsternis scheidet“.

Erstaunlich! Ich lese die Bibelstellen meiner Geliebten vor, die praktischerweise auch gleich neben mir liegt. Sie kuschelt sich an mich und spricht: Das müsse man anders verstehen. Mit dem ersten Licht, das so sonnenlos und quellenfrei über die Welt scheint, sei das göttliche Licht gemeint! Gar nicht dumm, diese Christen. Ist der Text bescheuert, dreht man ihn so hin, dass es umso mehr zur Religion passt.

„Dann sprach Gott“, spricht die Genesis weiter: „Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des Feldes. So geschah es.“ Das Land also hat das Pferd hervorgebracht. Oder eher doch ein anderes Pferd? Es gehört realiter nämlich einer anderen Geliebten, der meines Bruders. Ja, der ist tatsächlich mit einem Pferdemädchen zusammen! Wie es halt so läuft auf dem Land. Als jenes „Tier des Feldes“ fohlte, wurde ich gefragt, ob mir ein Name einfiele – aus Zuchtgründen aber nur einer mit G, H oder I. Meine Vorschläge „Holly Golightly“ oder „Galatea“, wie die Frau, die man nach eigenen Erwartungen formen kann, fielen allerdings durch.

Ich stehe auf und ziehe die Rollos hoch, die Sonne ist aufgegangen. Die Finsternis ist verschwunden. Meine Großeltern sind längst den Weg alles Irdischen gegangen. Sie haben einen Kleinbauernhof vererbt, Pferde hatten sie nie. In meinem Traum mit dem Pferd auf dem Flur ruht der Kopf meiner Großmutter im Küchenspülbecken. Ihr Kopf liegt im klaren Spülwasser, sie hat die Augen geöffnet und guckt mich an. Sie sagt nichts und guckt nur. Wie ein Pferd.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 /