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Die WahrheitDas Treppenhaus der Dinge

Harriet Wolff
Kolumne
von Harriet Wolff

Da hilft keine Vermieterpost: Wer tauschen will, der tausche. Das sagen sich auch viele Mieter, die das Glück einer passenden Fensterbank haben.

E s will mir einfach nicht gelingen. Egal zu welcher Uhrzeit, ich komme nicht an ihm vorbei. Sie möchten wissen, an was ich nicht vorbeikomme? An was ich tagaus, tagein zum Stehen komme? Ich halte Sie noch ein paar Zeilen hin. Stattdessen erzähle ich Ihnen, was sich auf ihm befindet. Das, was sich auf ihm befindet, ändert sich täglich, manchmal sogar stündlich. Gestern etwa ging es bescheiden zu, ja, es wirkte nachgerade recht verwaist. Gerade einmal zwei Schokohasen standen auf ihm herum, der eine von einer renommierten Schweizer Chocolatier-Firma, der andere vom Discounter. Beide Hasen längst dem Haltbarkeitsdatum entglitten.

Ich griff darob nicht zu, räumte, Achtung, jetzt löst sich die Spannung … räumte dieses Mal nicht das Fensterbrett im ersten Stock unserer Mietsbehausung ab. Ein schlohweiß gestrichenes, hölzernes Brett, darauf ein komplett unentgeltlicher, anonymer Hausbewohnerflohmarkt: So sieht es bei uns aus, und ich griff dies eine Mal nicht zu.

An anderen Tagen verhält es sich nicht so. Ich gehöre nämlich zu den Abräumern im Haus – und ich habe gar manche Nachbarn im Verdacht, ebenfalls in die Kategorie Abräumer zu fallen. Wäre es nicht so, ich könnte mir nicht erklären, wie in der kurzen Zeit, in der ich Pfandflaschen rausstelle, die Katze im Hof füttere und Irrläufer aus dem Briefkasten fische, eine komplette Sammlung Apotheken Umschau 1984-1989 den Besitzer wechselt; wie giftgrünes, klumpiges und angebrochenes Badesalz ein neues Heim findet oder ein stilistisch unterirdisches Kunstblumenbukett samt Preisschild innerhalb des Gebäudes umzieht.

Wollüstig eisern

Wir sind diskret, wir sprechen unter Nachbarn nie über unser Treppenhaus der Dinge. Wir genießen die Mitnahme diverser, meist sinnloser Objekte oder gehen leise kopfschüttelnd daran vorbei. Das Treppenhaus der Dinge: Auch mehrmalige Brandbriefe des Hausbesitzers und der beauftragten Hausverwaltung haben nichts an diesem famos niederschwelligen Angebot ändern können. Die Briefe waren stets des gleichen Inhalts: Man möge doch bitte davon absehen, „Gegenstände auf dem Fensterbrett abzustellen“, und überhaupt, brandgefährlich das Ganze, Feuerschutz und so. Derartige Post hing immer genau einen Tag neben dem temporär leeren Brett, dann lag sie zerknüllt im Papierkorb. Mittlerweile bleiben die Mitteilungen aus. Ein Freund hatte mal vorgeschlagen, nach dem Ableben des allseits geschätzten und betagten Hausinhabers keine weiteren Dinge mehr dort unten abzustellen, sondern nur ein Foto von ihm, mit Trauerflor. Es kam anders.

Das Treppenhaus der Dinge: Wir als Hausgemeinschaft halten wollüstig eisern daran fest. Obwohl es doch ein bisschen peinlich wirkte, als wir jüngst den Nachbarn zum Grillen just jenen Tankstellenrotwein überreichten, den diese ein paar Wochen zuvor auf das Brett gehievt hatten. Das Fleisch war übrigens nicht so gut.

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Harriet Wolff
Wahrheit-Redakteurin
Seit 2013 bei der taz-Wahrheit, zeitweise auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen
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1 Kommentar

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  • “…Das Fleisch war übrigens nicht so gut.“

    Kenn ich. Nicht lange genug abgehangen.



    Aufm Fensterbrett.