Die Wahrheit: Stirb langsam in Cottbus
Die unwirtlichsten Unterkünfte der Welt (6). Heute: Ein Augenkrebs erzeugendes Hotel weit im Osten der Republik.
Das Völkchen der Journalisten und Schriftsteller gilt als Weltmeister im Reisen. Dauernd sind Autoren zu Lesungen und Buchmessen unterwegs oder müssen sich auf ihren Expeditionen durch aller Damen und Herren Länder eine Unterkunft suchen. Dabei haben sie einige der abseitigsten Absteigen der Welt gesehen und sind dort untergekommen, wo andere keinen Fuß hineinsetzen würden. In unserer Wahrheit-Sommerserie dokumentieren wir das ganze Ausmaß des unbehausten Schreckens.
Eines verhängnisvollen Tages vor zehn Jahren verlangte es das Ehegespons nach Spurensuche in meiner Vergangenheit. Aus dem Westen stammend und an schrägen Abenteuern interessiert, wollte er allen Ernstes nach Cottbus aufbrechen: „Mich interessiert, wie und wo du damals im Osten gelebt hast!“ – „Ich komme nicht von da!“, fauchte ich, wurde jedoch augenblicklich von Erinnerungen überschwemmt.
Es gab eine Zeit, da die Energiearbeiterstadt Cottbus tatsächlich Energiearbeiter aufwies und noch nicht durch rechtsradikales Gesamtklima unangenehm auffiel. Wir schreiben die achtziger Jahre. Ich gebe zu, es stank. Ich gebe ebenfalls zu, dass der ganze Ort um eine notdürftig hergerichtete Fußgängerzone herum bröckelte und niemanden anzog. Außer manchmal Leuten auf Arbeitssuche, zu denen mein damaliger Mann und ich nach Beendigung unseres Studiums gehörten. Auch hatten wir ein kleines Kind, eine beheizbare Wohnung musste also her. Sie fand sich im sechsten Stock eines Neubaublocks am Stadtrand mit Blick auf die ödeste Pampa, die die Gegend zu bieten hatte. Im Kindergarten sollte unser Dreijähriger Soldaten in Ausübung von Heimatverteidigung tuschen und nachts zogen die Kraftwerke von Lübben und Vetschau die Filter aus den Anlagen.
Odeur von Katzenscheiße
Spätestens am Morgen wurden wir von einem Odeur allerfeinster Katzenscheiße geweckt, kurz: So richtig romantisch war es nicht. Ich kann vielleicht nicht behaupten, dass die Stadt Cottbus allein am Scheitern dieser Ehe die Schuld trägt, würde es aber gern. Es gab also keine echten Gründe, da je ein zweites Mal hinzufahren, außer der Neugier des neuen Mannes. Eines Tages gab ich nach.
Das Land Brandenburg hatte Geld in die Region geschüttet, und so ließen sich die längst arbeitslos gewordenen Kraftwerker mit ihren Bierflaschen auf einem topsanierten Markplatz besichtigen. Noch kein einziger Flüchtling störte die raue KiK-Idylle mit Sorben-Touch, und auch sonst war man ganz unter sich.
Vermutlich hatte sich deshalb das Hotelwesen der Stadt nur sehr langsam in Richtung westlichen Standards entwickelt, die Auswahl war jedenfalls erschütternd bis nicht vorhanden. Ebenso wenig wie eine Art Nachtleben, was uns schon gegen 22 Uhr unsere Herberge an der Bahnhofstraße aufsuchen ließ. Ein folgenschwerer Fehler! Die einzige sichtbare Mitarbeiterin wünschte uns streng einen angenehmen Aufenthalt, um das Etablissement sodann im Weggehen von außen zu verschließen. Nachtruhe!
Dass das ganze Haus mit einem Augenkrebs erzeugenden Teppichboden in Georgien-Optik ausgeschlagen war, versuchten wir zu ignorieren, indem wir uns verliebt in die Augen sahen und dem Doppelbett entgegen strebten. Was sich allerdings ganz und gar nicht ignorieren ließ, war der beißende Chemiegeruch, den der Boden ausdünstete und der meinen Kopf wie ein Faustschlag traf. „Ich glaub, ich kriege Migräne“ hörte ich mich sagen und erntete einen Nicht-dein-Ernst-Blick des Liebsten.
Pest aus dem Billiggroßmarkt
Die Hoffnung, auf dem Zimmer besseres Klima anzutreffen, zerschlug sich beim Betreten. An dem Auftrag dieses Hotels hatte sich irgendein Billiggroßmarkt offenbar für Jahre saniert. Die Pest war einfach überall, außer im Bad. Und so verbrachte ich die erste Nacht meines Lebens in der Badewanne, auch hier immer noch nach Luft ringend.
Es ist mir unerklärlich, dass wir es nach kürzester Nacht noch mit dem Frühstück versuchten. Wahrscheinlich hatte uns ein Bezahlt-ist-bezahlt-Zwang von Provinzreisenden befallen. Mein Kopf dröhnte, und mir war übel.
Beim Auschecken beschwerte ich mich ausdrücklich bei der Diensthabenden an der Rezeption. „Oh!“ meinte diese wenig überrascht. „Da sind Sie nicht die Erste. Manche sind halt empfindlich … Für diesen Fall haben wir eine kleine Entschädigung parat.“ Mit einem Blick voller Freude über die Großzügigkeit des Hotels zog sie eine Flasche Rotkäppchensekt unter der Garderobe hervor. Er war lauwarm und halbtrocken. Ihn zu trinken hätte mir den Rest gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour