Die Wahrheit: Merkels Embryo
Philipp Amthor macht stets seine Hausaufgaben und ist der jüngste Abgeordnete der CDU-Bundestagsfraktion. Wie konnte das nur passieren?
Ellenbogenaufnäher, riesengroße ovale Ellenbogenaufnäher schmücken die Jackettärmel des Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor. Diese Flicken verbergen nicht nur die abgewetzten Stellen in der Ellenbogengegend der Sakkos, sie „sehen auch superschick aus“, sagt der junge Mann mit der leicht piepsigen Stimme, dessen Antlitz Hornbrille und Seitenscheitel schmücken.
Amthor bekam den Anzug vom Großvater zum 16. Geburtstag und zu seinem Eintritt in die CDU geschenkt. Der erfolgte am selben Tag. Es ist ein Anzug aus Familienbeständen, der Opa konnte ihn noch ohne Ellenbogenflicken tragen. Dieser wiederum erhielt ihn zur Jugendweihe von seinem Vater, wie wir bei einem Besuch in der mecklenburgischen Heimat Amthors von Letzterem selbst erfahren dürfen.
Der Großvater war zeitlebens eine wichtige Person für Philipp. Da sein Vater sich aus dem Staub machte, nachdem ihm bewusst geworden war, dass er statt eines Kindes einen Greis gezeugt hatte, sprang Opa mit der Erziehung ein. „Er war nicht nur Vater für mich, sondern auch Freund“ und natürlich politischer Berater vom Embryonalstadium an. So erinnert sich der frischgebackene Abgeordnete gern daran, wie er an schönen Tagen mit seinem Opa am Deich spazieren ging, von wo aus sie gemeinsam zum Nachbarwahlkreis hinüberschauten, der seit dem Jahr 1994 von Angela Merkel regiert wird.
Merkels Bodyguards
„Mach deine Hausaufgaben“, ermahnte ihn der alte Mann, „dann wird aus dir auch so etwas.“ Und Philipp machte und wagte sich hinaus in die Welt, unternahm sogar Reisen in den Nachbarwahlkreis, um das politische Wirken der großen Vorsitzenden zu studieren. Er lernte ganz allein die Namen von Merkels Bodyguards auswendig, um in der am dünnsten besiedelten Gegend Deutschlands effektive Netzwerkarbeit zu betreiben.
Bei schlechtem Wetter feilte Amthor an seiner politischen Argumentation und Haltung. Dazu dienten ihm Leni-Riefenstahl-Filme und seine – natürlich vom Großvater bestückte – Bibliothek. Machiavelli wurde so zu seinem ständigen literarischen Begleiter, und die drei Bände „Wehrmachtserinnerungen 1933–1945“ waren für die Ausarbeitung seiner politischen Programmatik inspirierend. Seither wünscht er sich, die Bundeswehr unter Führung der Polizei in besonderen Gefährdungslagen im Inneren einzusetzen.
„Dann wäre damals den G20-Chaoten in Hamburg schnell ein Ende gesetzt worden“, wird der schmächtige Mann plötzlich erstaunlich energisch. „Schauen Sie sich nur diese linken Maden an“, zeigt er auf Bilder in seinem Tablet und haut auf den Tisch, dass die schwarz-gelb-rot gestreifte Kaffeetasse mit der Aufschrift „Neuer Mut“ überschwappt und die Tischdecke aus filigranem Häkelwerk sich ein wenig einbräunt. Aber es sei nicht alles schlecht an Hamburg. Helmut Schmidt zum Beispiel imponiert ihm, weil er während der Sturmflut 1962 die Bundeswehr im Landesinneren einsetzte. Dass er so viel rauchte, gefällt ihm weniger, aber von seiner Schneidigkeit „kann man viel lernen.“
Hausaufgaben im Bundestag
Philipp Amthor nimmt das Tablet und schaltet um. Er führt nun das Video mit seiner Bundestagsrede zur Vollverschleierung im öffentlichen Raum vor. Er reagierte dort auf einen „im Grundsatz sympathischen“ AfD-Antrag, der aber „furchtbare, handwerkliche Fehler“ aufweise, empörte sich der Jungjurist, der die AfD deshalb mit Begeisterung maßregelte: „Machen Sie Ihre Hausaufgaben“, rief er und empfahl, ihm, Amthor, genau zuzuhören: „Dann können Sie noch etwas lernen.“
Das Video hat fast 2.000 Likes auf Facebook und wurde schon über 400-mal geteilt. Enttäuschend wenig Resonanz erzielten hingegen seine Aufnahmen von heimischen Blaskapellen-Umzügen mit im Durchschnitt zwei Likes. Im Video schiebt ein Mann ein rotes Fass auf einer Schubkarre durch die Straßen. Was Amthor damit sagen will, weiß er offenbar selbst nicht.
„Beim Marketing kann ich noch viel lernen“, gibt der Politiker zu. „Aber erst einmal muss ich meine politischen Hausaufgaben machen.“ Sagt er und schreibt, während wir uns langsam zurückziehen, als selbstauferlegte Strafarbeit die Wörter „Multikulti“ und „Flüchtlinge“ hundertmal auf eine Wandtafel – selbstverständlich setzt er sie in Anführungszeichen. Von Philipp Amthor kann nicht nur die AfD noch viel lernen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers