Die Wahrheit: Cottbus ist cooler
Touristenvergrämung ist der neueste Trend nicht nur für die Berliner Tourismusbehörde.
Berlin ist voll, sehr voll. O wie voll unser geliebtes Berlin ist! Fast so voll wie Amsterdam, wo sie seit einiger Zeit auf den Dreh gekommen sind, Touristen zu vergrämen. Dort hat die Stadtverwaltung eine Gegenkampagne zur „Umverteilung von Touristen“ entwickelt. An der sich nun die seit Jahren komplett überlaufene, weil populäre Mauerfallstadt orientiert.
In den achtziger Jahren konnte man noch stundenlang im Berliner „Café Kranzler“ herumhocken, nur man selbst, die ein oder eine hackedichte Wilmersdorfer Witwe und draußen hinter den Tüllgardinen, fröhlich herumwuselnd, die Kinder vom Bahnhof Zoo. Doch jetzt: Myriaden Amerikaner, Asiaten und rotzevolle Amsterdamer, die in ihren schlecht geschnitzten Holzklompen durchs Brandenburger Tor trampeln, so viele, dass man in Berlin-Mitte in nebligen Nächten den Horizont nicht mehr sieht.
Doch die Stadt ergreift 2018 erste Maßnahmen. Mit einer offensiven Umverteilungs- und Vergrämungskampagne startet die gebeutelte Hauptstadt jetzt durch und versucht, die ungebetenen Amüsierhorden in weniger beliebte Ortschaften zu bugsieren – zum Beispiel mit Werbesprüchen wie diesen: „Auch schön: Das Berliner Tor in Hamburg!“ Oder: „Liebe Amis, fahrt doch mal nach Sachsen! Dort gibt es auch Ost-Ampelmännchen und Nazigeschichte, und zwar aktuelle!“ Oder, noch raffinierter: „Liebe Asiaten, fahrt doch mal nach Amsterdam. Soll auch schön sein!“
Ich fühl mich nicht gut und ich scheiß auf Berlin
Das Anti-Stadtmarketing der Spree-Metropole treibt erste kesse Blüten. In der neuen, kostenfreien App namens „Ich bin kein Berliner“ heißt es etwa: „Berlin-Mitte: Dies ist der hässlichste Stadtteil, den es auf der Welt gibt. Überall nur skandinavische Saufnasen und Mainstream-Asiaten, auf den Bordsteinen nichts als Kot, Verwesung und niederländisches Sperma. Nur so zur Info ;-)“
An den Restaurants in Friedrichshain oder Prenzlauer Berg, die in den Touristenfluten versinken, prangen plötzlich kleine Aufkleber: „Empfohlen vom Rentner-Gourmet“ oder „Wir verwenden nur frische Lidl-Produkte!“ An den Hoteltüren glänzen Messingplaketten: „Empfohlen von Crowded Planet“. Gefragte Galerien und Souvenirläden präsentieren sich mit frechen Fußmattensprüchen: „Wir verkaufen nichts!“, während die überlasteten Geldwechselstübchen „Wir tauschen nichts!“ echoen. Schon im März soll es in Berlin Dutzende neue Spazier- und Radwanderwege geben, und alle Wege führen nach Berlin-Marzahn, wo ein blinkendes Schild mit der Aufschrift „Neues In-Viertel!“ ahnungslose Hauptstadtfans aufs Herzlichste willkommen heißt.
Jedes gute Stadtmarketing braucht jedoch vor allem den einen knalligen Slogan. Der Ideenwettbewerb für den pfiffigsten Spruch tobt bereits: „Berlin – nur Cottbus ist cooler“ könnte das Rennen machen, sowie „Berlin – auch echt bürgerlich geworden“, „Berlin – die aufregendste Stadt der neunziger Jahre“, oder auch „Berlin – das Hannover des Ostens“.
Das Duisburg des Ostens des Westens
Von dieser cleveren Imagekampagne können sich auch andere Reise-Hotspots in Deutschland eine Scheibe abschneiden. Ein Beispiel: Die unter Wandertouristen ächzende Sächsische Schweiz bräuchte sich lediglich in „Sächsisches Belgien“ umzutaufen, und im lieblichen deutsch-tschechischen Grenzgebiet könnte man wieder ungestört rumkraxeln. Oder Hannover. Hannover ächzt auch, allerdings nicht unter den Touristenströmen, sondern einfach, weil es zum Wesen der freudlosen Niedersachsen dazugehört, und könnte sich, also rein präventiv, als „Duisburg des Ostens des Westens“ vermarkten.
Und wenn sich die „Rattenfängerstadt Hameln“ mutig in „Rattenstadt Hameln“ umbenennt, hat es mit den zigtausend angloamerikanischen Mittelaltertouristen wohl endlich mal ein Ende. Das stolze Nürnberg hätte mit „Nazistadt Nürnberg“ und „Nürnberg – Geburtsstadt von Markus Söder“ hingegen gleich zwei Trümpfe in der Hand, um den Christkindlmarkt ein wenig leerer zu fegen. Wobei zu befürchten steht: Zieht das nicht vielleicht gar neue Feriengäste an? Man denke nur an die umschwärmte Hansestadt, die sich vor Jahren den Beinamen „Musicalstadt Hamburg“ verpasste. Alle dachten, das sei Abschreckung genug, doch das Gegenteil war der Fall.
Zu guter Letzt: Ein Weglotsen von Touristen bekäme auch dem Urlaubsland Bayern sehr gut. Vor allem die ausgelatschten Alpengebiete müsste man dringend entlasten. Möglichkeiten an kernigem Anti-Regionalmarketing gibt es viele: „Bayerische Alpen – nur der Harz ist schöner“, oder „Fahrt doch mal nach Afghanistan. Da gibt es auch Berge ;-)“, „Garmisch-Partenkirchen – der überteuerte Alpenmoloch“ sowie „München – subkulturell tot“. Und nichts davon wäre gelogen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei