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Die WahrheitGreise wollen's noch einmal wissen

Erotikliteratur von alten weißen Männern boomt. Eine berührende Übersicht aus dem Inneren der Beige-Hosen-Träger.

Wozu der Windschutz? Damit das Feigenblatt (nicht im Bild) nicht wegweht! Foto: reuters

Jeden Tag bestimmen sie, wie wir leben. Überall führen sie das große Wort. In Wirtschaft, Politik, Kultur. Sie sind die Trendsetter, die Visionäre von morgen: alte weiße Männer. Doch dabei soll es nicht bleiben: Neuerdings erfährt man nicht nur, wie es bei ihnen im Kopf, sondern auch, wie es in der Hose ausschaut.

Peter Sloterdijk und Jan Fleischhauer haben es vorgemacht, mit Erotik- und Beziehungsliteratur vom feinsten. Persönlich, ergreifend, hautnah. Diese Männer, die jahrelang verbissen nach unten getreten haben, offenbaren plötzlich eine zarte Seite. Und zwar ungefragt, schonungslos. Wie eine Hand, die sich plötzlich aufs Knie legt, legen sich diese schon erledigt gedachten Feuilletongreise auf die Bestsellerlisten, fallen wie frischer Mehltau auf eine altbackene Streuobstwiese. Sie wollen es einfach noch einmal wissen, diese falschen Ü-Fuchziger!

„Früher ist man in der Endlife-Crisis noch in Tibet herumgekraxelt oder hat sich formschön mit Motorrad und Lederjacke um eine Eiche gewickelt, heute schreibt man ergreifende Liebesbeichten“, sagt Liesl Hubers von der saarländischen Literaturakademie in Völklingen. Und es stimmt tatsächlich: Diese alten Herren, die eh schon überall sitzen wie bleiche Maden im Speck, sie kriechen nun auch zwischen unsere Kopfkissen. Das bedarf Anerkennung. Und Respekt.

Das neue Methusalem

Nicht zuletzt macht dieser Trend einer neuen Generation von Methusalemen Mut. Graue Herren, die sich schon im historischen Trend absteigen und zusammenschrumpfen sahen, werden jetzt noch mal zu neuer Straffheit gepumpt – durch die Macht der Liebe und der Literatur!

Blitzanrufe bei Verlagen zeigen, dass die Buchwelt den Trend verstanden hat. So gibt Wolfgang Schäubles Verlag Droemer bekannt, dass auch der Bundestagspräsident im Frühjahrsprogramm 2018 vertreten sein wird. Schäubles halbautobiographischer Roman „Hellenengesänge“ erzählt von dem schneidigen, kaum achtzigjährigen Volkswirt Wolfram, der eine dekadente Mittelmeerrepublik in den Ruin sparen soll. Eine Aufgabe, die ihm leichtfällt – bis er die 22-jährige Helena kennenlernt, eine wunderschöne Studentin der Altertümer, die ihn anfleht, ihrem krebskranken Vater nicht die lebensnotwendigen Medikamente zu streichen. Wie wird sich Wolfram entscheiden? „Ich war beim Verfassen des Romans selbst zu Tränen gerührt – dieses Todesurteil war das schwierigste in meinem Leben“, gesteht der Autor in einem ersten Interview.

Schon länger in diesem Geschäft tätig ist Martin Walser, der das Thema Alterserotik in zahlreichen Romanen und Wahnvorstellungen verarbeitet hat. Nun wechselt er aufs Genre der Ratgeberliteratur – und schreibt, wie sein kaum jüngerer Kollege Jan Fleischhauer, plötzlich über Scheidung.

Graue Herren werden durch die Macht der Liebe und der Literatur zu neuer Straffheit gepumpt

„Sie wissen gar nicht, wie schwer das ist, nach 67 Jahren Ehe“, lässt Walser über seinen Verlag mitteilen. In seinem Buch „Abkäthung“ schildert Walser, wie er sich die Trennung von seiner seit 1950 angetrauten Ehefrau Käthe vorstellt. „Klar, erst mal müsste ich einen Anwalt anrufen. Aber das Telefon steht bei ihr im Zimmer. Die kriegt das doch mit!“ Das über mehrere hundert Seiten langgezogene Lamento nötigt auch der schwer gebeutelten Spiegel-Kulturredaktion schon jetzt Respekt ab.

Sonette für den Butterkönig

Wer glaubt, hier sei die Spitze der Alterspyramide schon erreicht, hat nicht die Rechnung mit Maike Kohl-Richter gemacht. Die schöne Kanzlerwitwe plant, schon im Weihnachtsgeschäft mit den nachgelassenen Liebesbriefen Helmut Kohls abzuräumen: „Da sind teilweise echte Hämmer dabei – zum Beispiel der große Sonettenkranz, den er Toni Meggle widmete, dem Vorsitzenden der gleichnamigen Kräuterbutterfabrik.“ Die zahlreichen Kontoauszüge, die sich teilweise nahtlos mit der Lyrik Kohls verbinden, mussten aufgrund ihrer schonungslosen Erotik über große Strecken geschwärzt werden – ein Beweis dafür, wie mächtig die Liebe noch aus dem Grab heraus pulsieren kann.

Eine Lebenslust, die auch Wolfgang Grupp noch spürt, bis in die Stützstrümpfe – Stützstrümpfe von Trigema, natürlich! Denn auch nach über 125 Jahren Lebensarbeitszeit denkt der Experte für Schimpansenbekleidung noch lange nicht daran, den Laden an seinen Sohn Humanzee zu übergeben. Stattdessen nutzt er seinen Einfluss, um sich für Interspeziesmus starkzumachen, die bessere Verständigung zwischen Menschen und Tieren.

Zusammen mit dem Schauspieler Hannes Jaenicke, den er während eines Indonesienurlaubs kennenlernte, bringt der sozial engagierte Vermögensmillionär im Herbst nächsten Jahres die Streitschrift „Affenliebe“ heraus: „Wenn ein älterer Mann entdeckt, dass Schimpansen eine Seite an ihm berühren, die er vorher nicht kannte, dann ist das etwas, was nicht schamhaft vertuscht, sondern lautstark zwischen zwei Buchdeckel gepresst gehört“, so Wolfgang Rupp gewohnt gruppig.

Dies sind nur einige Highlights, die uns im Bereich Weißbuch 2018 erwarten. Der Chef der Frankfurter Buchmesse Juergen Boos, der schon dieses Jahr einige Hits aus den dreißiger Jahren wieder bekannter machte, glaubt nicht, dass der herrliche Trend bald abebbt: “Diese Leute werden ja nicht nur immer mehr, sondern auch immer älter. Bis die alle tot sind, können Frauen und Migranten noch ein halbes Jahrhundert für die Schublade schreiben!“

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3 Kommentare

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  • Der eine Udo sang -

    Mit 66 fängt das Leben an

    und der andere Udo singt immer noch -

    Der Greis ist heiss.

     

    Also alles im Lot.

  • 6G
    66330 (Profil gelöscht)

    Und was ist die Alternative? Ich habe leider die Pointe vergeblich gesucht, oder zumindest den weisen Ratschlag. Klingt jedenfalls ein bisschen wie: Alte, weiße Männer - setzt euch in puncto Sex am besten zur Ruhe (was die dann auch bestimmt gehorsam tun). Schade, dass der Erotikfachhandel künftig auf die Silver Ager verzichten muss, obwohl die eigentlich die ideale Zielgruppe sind: erhöhter Bedarf und das notwendige Kleingeld... Aber das sie nicht einmal darüber reden dürfen, ist schon ärgerlich.

  • Was für eine schöne Panegyrik auf die alten, weißen Männer. Die haben es halt drauf!