Die Wahrheit: Es kann weitergehen
Der Morgen nach der Bundestagswahl war für alle Spitzenkandidaten ein ganz besonderer. Ein Bericht von der Morgentoilette.
Montagmorgen nach der Wahl. Christian Lindner steht vor seinem Badezimmerspiegel und betrachtet sich wohlwollend. Dann leckt er seinen Daumen ab und zieht die Augenbraue nach. Noch besser! Er probt einige Gesten, die er die nächsten Tage noch brauchen wird, und seufzt kurz.
Es ist schon ein bisschen schade, dass der Wahlkampf nun vorbei ist – all die Menschen, die ihn die letzten Wochen ansehen, anhören, sogar anfassen durften! Lächelnd erinnert er sich an jene mittelalte Dame, die auf irgendeinem Marktplatz seine Hand fasste, den Kopf senkte und genießerisch schnupperte. Dafür nimmt man das alles doch gern in Kauf.
Zur gleichen Zeit steht Sahra Wagenknecht am Bügelbrett und stärkt den Kragen ihres Bademantels. Wiesel umspielen ihre Knöchel. Die Schulter zwickt, das liege an ihrer Körperhaltung, sagt der Physiotherapeut. Sie hebt den Arm in die Höhe, wie er es ihr geraten hat. Klatsch, macht es an der verglasten Verandaschiebetür, ein Vogel fällt tot auf die Terrakottaplatten, Genickbruch.
Jedes Mal das Gleiche, denkt sie, wann, verdammt nochmal, lerne ich das endlich. Bei jedem ihrer Kleider muss sie die Ärmel festnähen, damit im Eifer einer Bundestagsdebatte, wenn sie die linke Faust in den Himmel recken will, nicht ein Schwarm schwarzer Krähen durch die Glaskuppel in den Plenarsaal bricht. Jetzt ist ihr Rücken Stahlbeton, sie seufzt, während draußen die Katze den toten Vogel beäugt.
Goldschnitt in der Morgensonne
Alexander Gauland steht in seiner Küche und spuckt ins Waschbecken. Das ist so seine Art, sich die Zähne zu putzen; er hat sich dran gewöhnt. Als er vor vielen Jahren das Haus plante, ließ er das Badezimmer weg. Noch immer die richtige Entscheidung, wie er auch heute noch findet; es war die einzige Möglichkeit, sein Arbeitszimmer quadratisch anzulegen. Er hat die Wände mit Regalen auskleiden lassen, da steht nun der Brockhaus drin, die Buchrücken zur Wand; der Goldschnitt glänzt in der Morgensonne. Gleich wird er, Alexander Gauland, seinen Nachttopf Günther Jauch in den Koi-Teich leeren.
Währenddessen schaut Katrin Göring-Eckart fassungslos in ihre Handflächen. Sie weiß nicht, wie sie das macht; ihre Schwiegermutter sagt, sie müsse das als Gabe begreifen. Alles, was sie anfasst, wird pastell. Neulich hat sie sich einen quietschroten Regenschirm gekauft, und kaum dass sie das Geschäft verlassen, die Spitze gen Himmel gereckt und den Knopf zum Öffnen der Schutzfläche gedrückt hatte, war er schon rosa geworden. Alles bleicht ihr aus, sie schüttelt resigniert den Kopf; und jetzt wird sie die Verhandlungen mit dem Lindner und der Merkel führen müssen, während neben ihr Cem Özdemir sitzt und fortwährend die Ärmel seiner weißen Hemden neu aufzuschlagen versucht.
Warum kauft der sich auch nichts Kurzärmliges, das wäre doch viel sinnstiftender. Sie ballt die Hände zu Fäusten; dieser Hirni. Das Telefon klingelt, sie nimmt all ihre Wut zusammen, führt den Hörer ans Ohr und schreit Unflätiges ins Gerät; aber am anderen Ende verlässt trotzdem bloß sanftes Gesäusel die Hörermuschel.
Muttern in der Schüssel
Angela Merkel reibt sich die Unterarme; war ja klar, dass durch den Wahlkampf die Sehnenscheidenentzündung wieder schlimmer werden würde. Nichtsdestotrotz ist ihre Stimmung ausgezeichnet, sie singt sogar – immer knapp einen Halbton um die Melodie herum. Es ist aber auch zu schön: Vier weitere Jahre muss sie keinen echten Menschen mehr begegnen. Gott, war das anstrengend, all diese Krankenpfleger und weinenden Kinder; da ist ihr der Seehofer schon lieber. Den braucht sie nur einmal schief ankucken, und schon fallen ihm drei Zähne raus. Behaglich streicht sie sich durch ihren Undercut, bevor sie sich wie jeden Morgen Milch über ihre Schüssel Sechskant-Muttern schüttet. „Guten Appetit, Angela“, sagt sie zu sich selbst; „Guten Appetit“, antwortet die Kaffeekanne.
Wurstfett in der Wanne
Zur gleichen Zeit legt Martin Schulz die Borstenbürste aus der Hand und betrachtet zufrieden seine saubere Badewanne. Seit Monaten hat er sich hier jeden Morgen mit ausgelassenem Bratwurstfett eingerieben, endlich hat das ein Ende. In seinem Arbeitszimmer hat er schon die Yogamatte drapiert; ihm ist klar, dass es Monate dauern wird, bis sich in der Berghaltung seine großen Zehen wieder berühren werden. Aber er freut sich schon auf den Tag des Gelingens, und doppelt freut er sich, weil er von diesem großen Sieg niemandem wird erzählen müssen.
Es ist Montagmorgen und die Sonne hebt ihr müdes Haupt. Sie blickt einmal kurz in die Runde und nickt dann: Es kann weitergehen.
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