Die Wahrheit: Faulancer auf dem Vormarsch
Zum Nutzen der deutschen Wirtschaft werden jetzt übereifrige Mitarbeiter von einem Start-up-Unternehmen dequalifiziert.
Die jungen Leute haben es echt nicht mehr drauf!“ Thorben Seibt, Personalmanager bei einem marktführenden Dienstleistungsunternehmen der Finanzbranche, wirkt ratlos. „Früher lernte man das ja noch im Studium – aber seit Bologna ist das auch vorbei.“ Auf den ersten Blick wirkt das Problem des eloquenten Managers paradox – aber er meint es bitterernst: Seine Leute wissen nicht mehr, wie man rumlungert, faulenzt und sich drückt.
„Es muss auch einfach mal nur aus dem Fenster geglotzt oder sinnlos im Internet gedaddelt werden. Oder ein Schwätzchen in der Teeküche gemacht werden. Diese menschlichen Dinge sind uns wichtig. Wir haben sogar eine Betriebsvereinbarung darüber, wie viel Prozent der Arbeitszeit ineffizient zu verplempern sind. Aber irgendwann haben wir bemerkt, dass unsere hochqualifizierten Mitarbeiter einfach nur unglücklich waren. Die wollen ranklotzen und nicht trödeln.“
Mit diesem Problem steht Seibts Firma keineswegs allein da. Der Trend ist allgegenwärtig: Wer eine gut bezahlte, unbefristete Stelle hat, der hängt sich richtig rein. Seibt seufzt verzweifelt: „Was sollen wir denn machen, wenn den Leuten ihre verdammte Arbeit auch noch Spaß macht!“ Und so haben sich in der deutschen Wirtschaft 2016 nicht nur 8,7 Milliarden Überstunden angesammelt, die weder abgefeiert noch bezahlt wurden, sondern auch mehr als vier Milliarden „Unterstunden“ – so viel Zeit hätte aus arbeitsmedizinischer Sicht gefaulenzt werden müssen, wurde aber rechtswidrig mit effizienter Arbeit verbracht.
Bevor wir Seibt für einen naiven Idealisten halten, stellt er klar: „Natürlich leidet unser Controlling, wenn hoch bezahlte High Potentials gefrustet im Hof stehen und ungeschickt versuchen, Däumchen zu drehen. Dafür sind die ja auch gar nicht ausgebildet. Aber momentan arbeiten die Leute sich regelrecht kaputt, und das wollen wir nicht“, betont der agile Manager. „Unsere teuer ausgebildeten Mitarbeiter sollen sich schließlich auch in 15 Jahren noch für uns krummlegen.“
Milliarden an Unterstunden
In dieser prekären Situation stieß Seibt auf die Agentur MMP – die Abkürzung steht für „Mach mal Pause!“ Geschäftsführer Klaus Hollmann, ein gemütlicher Mittvierziger mit Gewerkschafterbart, führt uns gemächlich zu seinem Büro.
An den Korridorwänden prangen pausenmotivierende Poster mit Sprüchen wie „In der Ruhe liegt die Kraft“, „Eile mit Weile!“ und „Immer langsam mit den jungen Pferden!“, jeweils verziert mit dem MMP-Claim „Macht nix!“ An seiner eigenen Tür hängt die Mutter aller Finanzamtssprüche: „Wir sind bei der Arbeit und nicht auf der Flucht“.
Drinnen erläutert Hollmann uns dann sein Konzept für betroffene Firmen. Bei den meisten genüge Stufe eins: Schulung der Mitarbeiter im Däumchendrehen und Daddeln, Sicherheitsmaßnahmen gegen Heimarbeit (Hollmann spricht konsequent von „Heimlicharbeit“) und vor allem ausreichend Pausenmotivation durch Ablenkung. So sollen die Mitarbeiter MMP-begleiteter Firmen ihre Kleinkinder stets mitbringen. Die räumliche Separierung der Kitas vom Großraumbüro sei ein historischer Fehler gewesen. Auch Hunde und Katzen sind einmal wöchentlich willkommen – beide am Dienstag. Und Mails mit eher privatem Anliegen („Hat jemand ein Tampon für mich?“) müssen immer an alle gehen, mit total unklarem Betreff.
Aber vor allem soll die Geschäftsführung proaktiv handeln: „Die Chefs müssen endlich verstehen, dass die Arbeitsverweigerung von ihnen ausgehen muss. Wenn man den Leuten unbegrenzt Arbeit zur Verfügung stellt, darf man sich nicht wundern.“ Deshalb inszenieren Stuntmen auf dem Firmenparkplatz stündlich Unfälle – gegafft wird schließlich immer.
In der Kantine gibt es mehrmals täglich Freibier und Diskussionsangebote, etwa zum Thema „War das ein Abseits?“; außerdem Panini-Tauschbörsen und Vorführungen von Tupperware, Avon und Zalando. Apropos Kantine: Die Abluft aus der Bäckerei wird beim Kuchenbacken direkt in die Großraumbüros geleitet, und stündlich wird flächendeckend Knoppers verteilt.
Zusätzliche Ablenkung verschaffen die Katzenvideos, die mehrmals täglich fünf Minuten lang über das firmeneigene Netzwerk gespielt werden, sowie die täglichen Evakuierungsübungen der Feuerwehr. Viele Firmen veranstalten auch wöchentlich Ausflüge mit verbindlicher Teilnahme sowie Zwangsfeiern („Umtrunk mit reichlich Prosecco“) zu jedem Geburtstag, Hochzeitstag und Firmenjubiläum („Heute seit vier Monaten in der Firma: Nele Altheim“).
Fatnessräume für alle
Andere bieten einen Fatness-Raum mit Sesseln, Großbildfernsehern und Gratistorte an. Körperlich unausgelastete Mitarbeiter werden ermuntert, den Pausenhof „wie früher“ zu nutzen. Strebern und Nerds müssen Völkerball, „Die Jungs jagen die Mädchen“, Kloppe und Gummitwist allerdings erst mühsam von Animateuren beigebracht werden. Weitere MMP-Tricks: Alle Toiletten befinden sich im Nebengebäude (zehn Minuten Fußweg); die Fahrstühle halten grundsätzlich in jeder Etage; der Chef erscheint zu Sitzungen stets bis zu einer halben Stunde zu spät; und die Firma organisiert Überraschungsbesuche der Familie am Arbeitsplatz.
Auf die naheliegende Frage, warum man zur Pausenerzwingung nicht einfach regelmäßig den Strom abschalte, erwidert Hollmann, das habe man natürlich ausprobiert. Aber nach etwa zwei Wochen, als alle Büros picobello aufgeräumt waren, sei es zu massiven Aggressionen und sogar zu Selbstmordversuchen gekommen. Immerhin sei der Strom jetzt aber von neunzehn bis acht Uhr morgens und am Wochenende abgeschaltet.
Ein echtes Problem ist das Vortäuschen von Faulenzleistungen bei heimlichem Weiterarbeiten. „Es gibt mittlerweile illegale Apps, die einen YouTube-Soundtrack abspielen, während der User in Wirklichkeit durch Augenbewegungen Excel-Tabellen komplettiert. Das ist echt kriminell!“ In solch schweren Fällen schickt MMP qualifizierte Leiharbeiter, sogenannte Faulancer, in die Betriebe, die die Unterstundenquote erfüllen.
Im Angebot sind unter anderem Essengeher, Urlauber, Blaumacher (gegen Aufpreis auch in Biofarbe), Teeküchensteher und Klositzer sowie für die Chefetagen reaktivierte Frühstücksdirektoren. Außerdem werden die extra gezüchteten, besonders laut summenden „Heisenberg-Fliegen“ eingesetzt, die man immer nur entweder sieht oder hört. „Da arbeitet niemand konzentriert weiter“, erklärt Hollmann stolz.
Fett Kohle durch Chillen
Aber auch MMP hat Probleme: Der Markt für begabte Drückeberger ist wie leergefegt. Früher hieß es zu Gammlern: „Geh doch nach drüben!“ Heute sage man: „Geh doch zu Siemens!“ Die DAX-Konzerne kauften die Leute frech aus dem Jugendzimmer weg und böten ihnen Home-Office-Jobs als Faulancer an – ohne Ausbildung. Einfach weiterchillen also und monatlich fett Kohle aufs Konto: „Wer sagt da schon nein?“, fragt Hollmann.
Aber was machen Unternehmen, falls die Jugendlichen plötzlich doch Bock auf Arbeit und Projekte bekommen? „Wenn bei zehn energiegeladenen Zwanzigjährigen gleichzeitig der Knoten platzt – das kriegen Sie nicht kontrolliert! Und wir von MMP schon gar nicht.“
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