Die Wahrheit: König der Lauerer
Biologie und Komik: Teil 33 unserer Serie „Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung“ beschäftigt sich mit dem mächtigen Ameisenlöwen.
Der Ameisenlöwe ist die Larvenform der Ameisenjungfer – die ebenso wie die ähnlich aussehenden Libelle zu den „Netzflüglern“ zählt. Mit Ameisen hat dieser „Löwe“ nur insoweit zu tun, als sie oft seine Opfer sind. Er ist ein am Boden einer kleinen, selbst angelegten Grube lebender Lauerjäger – und kann, statt zu scheißen, Seide spinnen, mit der er sich am Ende seine Lebensabschnitts verpuppt.
Dazu dienen ihm seine umgewandelten Exkretionsorgane, er hat keine Ausscheidungsöffnungen, das heißt: Er verdaut seine Nahrung fast vollständig. Dabei helfen ihm Bakterien in seinem Inneren, aber sie hat man hierzulande, anders als einige Würmer in der Tiefsee, bei denen das auch der Fall ist, nicht erforscht – dafür jedoch in Japan.
Im Blog „wirtrainierenaikido“ findet sich eine Beschreibung der japanischen Ameisenlöwen, „ari-jigoku“ („Ameisen-Hölle“) genannt: „Die Fallgruben der Ameisenlöwen sind rund, mit einem Durchmesser von zwei bis fünf Zentimeter und ein bis drei Zentimeter tief. Sie sind in weichen Sand gegraben, geschützt vor schweren Regenfällen oft unterhalb von überhängenden Gebäudedächern oder an der Basis großer Bäume. Die Seiten der Gruben sind sehr steil, und schon ihre geringste Berührung lässt eine kleine Lawine von losen Sandkörnern abstürzen. Mit einem dünnen Zweig lässt sich diese Kreatur bereits aus ihrer Fallgrube herauszuziehen.
Verflüssigte Beute
Sie ist ein Miniatur-Albtraum aus fantastischen Science-Fiction-Filmen: ein brauner borstiger Kopf und Körper von einer Reihe langer böser Stacheln am Kiefer gekrönt. Wenn Ameisen und andere kleine Beutetiere sich in die steile Grube wagen oder abrutschen, kommen sie nicht mehr hoch. Mit den Sandkaskaden rutschen sie direkt zwischen die mächtigen Kiefer des Raubinsekts.“
Seine Erforschung durch japanische Entomologen ergab kürzlich, „dass mindestens einige Arten ihrer Beute ein starkes Gift injizieren, das nicht von ihnen selbst produziert wird, sondern von Bakterien, die in ihrem Körper leben. Das Gift tötet nicht nur die Beute, sondern hilft auch, sie zu verflüssigen.“ Das Körperinnere des Beutetieres wird dabei komplett zu einer „trüben, homogenen Masse“ aufgelöst. Das Aussaugen des Nahrungsbreis kann mehrere Stunden betragen. Die leere Hülle wird anschließend aus dem Trichter geworfen.
Lebensraum Wüstenplanet
Damit man ein ungefähres Bild vom Aussehen des Ameisenlöwen hat, fügte der Autor in seinem von Japan News zuerst veröffentlichten Text noch hinzu: „Mein Lieblings-Ameisenlöwe-Monster ist der Sarlacc, in der Star-Wars-VI-Episode, „Die Rückkehr des Jedi“. Der Sarlacc lauert an der Basis einer riesigen Sandfalle auf einem Wüstenplaneten, wo nur sein riesiger zahngesäumter Mund herausragt. Der böse Jabba the Hutt warf, nachdem er die Prinzessin Leia versklavt hatte, die Helden Luke Skywalker, Hans Solo und Chewbacca in die Grube. Natürlich nutzt Luke seinen treuen Licht-Säbel, um in letzter Minute zurückzuschlagen, und es waren Jabbas Männer, die in die Grube stürzten. Die schöne Prinzessin Leia, mit einem bronzegoldenen Bikini bekleidet, erwürgte dann den Jabba mit seinen eigenen Ketten!“
Der „Wüstenplanet“ ist als Lebensraum dieses Ameisenlöwen-Monsters gut gewählt, denn, wie Wikipedia schreibt: „Die Befähigung zur Besiedlung von Sandlebensräumen unterscheidet diese Tiergruppe nicht nur von den nahe verwandten Schmetterlingshaften, sondern ist auch Ursache für die Artenfülle, welche die Ameisenjungfern auf allen Kontinenten hervorgebracht haben.“ Dazu gehört eine besondere Ausbildung ihrer Kieferzangen: „Sie ermöglichte den Ameisenlöwen den Übergang zu einer Lebensweise als Lauerjäger und die Eroberung neuer Lebensräume: Sie besiedeln neben dem als ursprünglich angesehenen Lebensraum auf Bäumen auch verschiedene Hohlräume wie Baumhöhlen, Tierbaue oder Felsüberhänge, oder offene Lebensräume wie Felsen oder Bodenstreu.“
Gruseltier des Jahres
Die meisten der rund 2.000 Ameisenlöwen-Arten leben in trocken-heißen Regionen, in Mitteleuropa dagegen gibt es nur neun. Laut den Naturforschern der Senckenberg-Stiftung zählen sie hier zu den „gefährdeten Lebensraumspezialisten“, weswegen man den Ameisenlöwen 2010 zum „Insekt des Jahres“ erklärte, um ihn bekannter zu machen, damit das Gruseltier wenigstens nicht mutwillig getötet wird.
Im „ameisenforum.de“ findet man aber auch folgenden Eintrag: „Ich habe den Ameisenlöwen nun in einer Futterbox (mit Sandkastensand) untergebracht, habe vor ihn zu Halten bis zum Schlupf der Ameisenjungfer. Sollte er eine geschützte Art sein, lasse ich ihn wieder frei, wo ich ihn gefunden habe. Ich habe bisher nicht herausfinden können, ob er eine ist, wenn jemand hierzu Informationen hat, bin ich sehr interessiert.“
Blitzschnelles Kiefernschnappen
Zwar werden oft Ameisen Beute des Ameisenlöwen, es gibt aber in den tropischen und subtropischen Regionen eine Art, „Schnappkieferameise“ genannt, der es gelingt, aus der Fallgrube lebend wieder herauszukommen – indem sie sich blitzschnell in hohem Bogen hinauskatapultiert. Die Bewegung ihrer zuschnappenden Kiefer ist laut der Entomologin May Berenbaum von der Universität in Illinois „mit 64 Metern pro Sekunde die schnellste gemessene im Tierreich“.
Eine Arbeitsgruppe ihres Kollegen Fredrick Larabee hat das näher untersucht, indem sie einige Schnappkieferameisen in die Fallgrube von Ameisenlöwen warfen. Heraus kam dabei – laut Bild der Wissenschaft: „Die Ameisen setzen ihre Kiefer gezielt ein, um sich aus den Trichtern der Ameisenlöwen zu schleudern. Sie halten ihre Mandibel dazu nahe zum Untergrund und lassen sie zuschnappen. Ameisen, denen die Forscher die Mandibel verklebten, hatten nur noch halb so gute Überlebenschancen, wie ihre Kollegen die sich wegspicken konnten. ‚Unsere Studie zeigt, wie ein Merkmal, das für bestimmte Zwecke entwickelt wurde, auch andere Funktionen übernehmen kann,‘ erklärte Larabee. ‚In diesem Fall ist es ein Werkzeug, das eigentlich dem Schnappen von Beute dient, aber auch als ein Flucht-Werkzeug eingesetzt werden kann‘.“
Geizhals mit Eiersack
Alfred Brehm erwähnte 1884 in seinem Band „Insekten“ ein Experiment des Genfer Naturforschers Charles de Bonnet, „das nicht minder die Zähigkeit des Ameisenlöwen, als die rührende Fürsorge einer Spinne für ihre Eier bekundet. Eine Art (Pardosa saccata) dieser so mörderischen Gesellschaft lebt unter dürrem Laube und ist leicht an dem weißen, fast erbsengroßen Eiersack zu erkennen, den sie im Frühjahr am Bauch angeklebt mit sich herumträgt und mit mehr Ängstlichkeit überwacht, als der größte Geizhals seinen Geldhaufen. Ein solches Spinnenweibchen trieb Bonnet in die Grube eines erwachsenen Ameisenlöwen. Dieser ergriff den Eiersack schneller als die Spinne dem gefährlichen Winkel entrinnen konnte. Er zog nach unten, sie nach oben, und nach heftigem Kampf riß zuletzt der Sack ab. Die Spinne war indes keineswegs gesonnen, ihren Schatz im Stich zu lassen. Sie faßte ihn mit den kräftigen Kiefern und verdoppelte die Anstrengungen, ihn dem Gegner zu entwinden. Aber trotz aller Gegenwehr und allen Strampelns ließ ihn zuletzt der überlegene Feind unter dem Sand verschwinden. Mit Gewalt mußte sich jetzt Bonnet in das Mittel schlagen, damit die unglückliche Mutter nicht ihrer zukünftigen Brut zuliebe auch noch ein Opfer des Siegers werde; denn freiwillig ging sie nicht von der Stelle, wo sie ihr Teuerstes begraben wußte, und wäre jedenfalls später auch noch verspeist worden.“
Umgekehrt ist es der weiblichen Erdwespe sehr daran gelegen, vom Ameisenlöwen gepackt zu werden, „nur um dadurch direkt an seinen Kopf zu gelangen, von wo aus sie mit ihrem Legebohrer in die dünne Halshaut einstechen und ein Ei ablegen kann“, wie es in der Insekten-Übersicht des Biologen Klaus Honomichl ungemein anschaulich heißt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht