Die Wahrheit: Shitstorm auf der Hundewiese
Wer seinen Hund „Drecksack“, „Schlampe“ oder „Arschloch“ tauft, braucht sich um Gesprächsthemen nicht zu sorgen.
W eshalb die Situation auf der Hundewiese letztlich so eskalierte, konnte im Nachhinein keiner der Beteiligten recht erklären. Günni Körschke wusch seine Hände jedenfalls desinfizierend in Unschuld: „Wir leben schließlich in einem freien Land. Mit freien Hunden.“ Und da kann man ihm ja kaum widersprechen.
Nachdem Körschke zum wiederholten Male von seiner Freundin verlassen wurde, hatte er sich im Tierheim gleich drei Hunde als neue Lebensabschnittsbegleiter geholt. Bei dem einen handelte es sich um einen hüftdegenerierten Schäferhund aus dem Objektschutz-Ruhestand, der andere Hund war eine Pudeldame im unfreiwilligen Vintage-Look.
Der dritte im Bund dürfte wohl das Resultat einer spontanen Orgie zwischen einer Golden-Retriever-Hündin und einem Dobermann gewesen sein. Die zwei betagten Rüden taufte Körschke auf die eingängigen Namen „Drecksack“ und „Arschloch“, die Hundedame nannte er „Schlampe“, als kleine Hommage an sein ramponiertes Frauenbild.
Mit diesem fidelen Trio erschien Körschke eines Samstagsmorgens auf der Hundewiese, wo er sich in den üblichen Ritualen wie Stöckchen werfen, Bällchen holen oder Leckerlis spendieren erging. Und er gab dazu die sachdienlichen Kommandos: „Eh, Schlampe, komm her! Wo steckst du, Arschloch? Drecksack, benimm dich!“
Nun ist es schon erstaunlich, wie viele Passanten sich angesprochen fühlen, wenn jemand im öffentlichen Raum lauthals „Arschloch“ oder „Schlampe“ ruft – und in der Regel trifft es ja auch keinen Falschen. Gesi Hollenried allerdings, die auf der Hundewiese mit ihrem Gebirgsschweißhund Aloys das wöchentliche Agility-Training absolvierte, traute ihren Ohren nicht. Also baute sich die passionierte Stadtrikscha-Chauffeuse vor dem Friedhofsgärtner auf: „Sie Hundehasser, was fällt Ihnen ein? Die armen Tiere bekommen doch einen Knacks!“ Körschke war nicht amüsiert: „Einen Knacks? Die Einzige, die hier einen Knacks hat, sind Sie, gnädige Frau!“
Ein Wort gab das andere. Drecksack, der sein Herrchen in Bedrängnis wähnte, reagierte jedenfalls artgerecht und schnappte mit seinen wackeligen Zähnen zu. Das Resultat war eine fluchende und auf einem Bein hüpfende Gesi Höllenried. Aloys, der Schweißhund der Attackierten, hatte den ganzen Vorgang interessiert beobachtet, jedoch keinen Anlass zum Eingreifen gesehen.
Es war letztlich nur ein Kratzer auf Gesis flaumig behaarten linken Unterschenkel. So verzichtete Höllenried auf eine Anzeige, machte den Vorgang jedoch in ihrem Hunde-Blog öffentlich. Als der nichtsahnende Günni Körschke beim nächsten Mal mit seinen Tieren auf der Hundewiese erschien, fand er sich prompt im Zentrum eines veritablen Shitstorms wieder.
Auf Gesi Höllenrieds Zuruf bewarfen ihn etliche Hundehalter ohne Vorwarnung mit üppig befüllten Kotbeuteln. Seitdem führt Körschke seine drei Vierbeiner nur nach Einbruch der Dunkelheit aus. Aber umgetauft hat er sie nicht.
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