Die Wahrheit: Der Crexit der Premierministerin
Theresa May hat passend zur Fastenzeit Sensationelles verkündet: Als gute Christin wird sie für einige Zeit auf Kartoffelchips verzichten.
D afür wird sie in den Himmel kommen. In einem Akt christlicher Opferbereitschaft hat die britische Premierministerin Theresa May am Aschermittwoch verkündet, dass sie in der Fastenzeit auf Kartoffelchips verzichten werde. Sie hat sich – wie bei ihren politischen Entscheidungen – allerdings ein Hintertürchen offen gehalten: Sie sprach von Kartoffelchips mit Salz und Essig.
Für die anderen Geschmacksrichtungen gilt ihre Verzichtserklärung offenbar nicht. Es gibt Chips mit Roastbeefaroma, mit Hühnchen, mit Schinken und englischem Senf. Und mit Scampi. Letztere schmecken wie ein Stück Pappe, das sechs Wochen in einer Pfütze im Hof einer Chemiefabrik gelegen hat.
Im Englischen heißen die Dinger „Crisps“. Ich wollte es eigentlich nicht schreiben, aber ich kann nicht anders: May hat den Crexit verkündet. Aber nur einen zeitweiligen. Ostersonntag darf sie wieder schlemmen.
Christen glauben, sie rückten ein Stück näher an Gott heran, wenn sie in der Fastenzeit auf etwas verzichteten, weil Jesus 40 Tage lang in der Wüste ausgeharrt und den Versuchungen des Teufels widerstanden haben soll. Um das Seelenheil des Bankdirektors, der im Wall Street Journal verkündet hat, 40 Tage lang auf Facebook zu verzichten, muss man sich also keine Sorgen machen.
Bei frommen und auch weniger frommen Iren steht in der Fastenzeit die Entsagung von Alkohol hoch im Kurs. Das ist kein schlechter Vorsatz, um der Leber eine Chance zu geben. Aber wenn die Leute dann mit selbstgerechter Leidensmiene im Pub sitzen und Wasser trinken, möchte man ihnen am liebsten einen Whiskey injizieren.
Wir haben früher bei unserem katholischen Fleischer in der Woche vor Ostern stets einen „Truthahn für Karfreitag“ bestellt und uns über die entsetzten Gesichter des Personals und der Kundschaft gefreut. Aber erstens sind wir inzwischen aus der Spätpubertät heraus, und zweitens kann man damit heutzutage nicht mal mehr einen Pfaffen schocken.
Zurück zu May: Ihr Crexit ist eine Riesenverarsche der Menschen, die aufgrund der Tory-Politik unter die Armutsgrenze gerutscht sind. Zudem steht ihr christliches Gehabe im krassen Gegensatz zu ihrer Entscheidung, keine Flüchtlingskinder mehr aufzunehmen.
Der frühere Fußballprofi Gary Lineker hat sie dafür kritisiert. Er macht seit Jahren im Fernsehen Reklame für Kartoffelchips der Marke Walker. Die Dumpfbacken von der United Kingdom Independence Party (Ukip) boykottieren die Produkte dieser Firma, weil ihnen Lineker zu liberal ist. Vermutlich hat Mays Kartoffelchipsverzichtserklärung gar keinen religiösen, sondern einen politischen Hintergrund, um Ukip ein paar Wähler wegzuschnappen.
Der Brausehersteller Pepsi, dem Walkers gehört, hat übrigens am Aschermittwoch ebenfalls einen Vorsatz gefasst: Zum Jahresende verzichtet man auf 400 Arbeiter im Werk in Durham, das geschlossen wird. Vielleicht hätte Theresa May lieber auf Pepsi verzichten sollen. Nun kommt sie doch in die Hölle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“