Die Wahrheit: Adieu, Zeitungsständer
Es war einmal… ein höchst analoger Zwischenspeicher für ungelesene Presse. Gemeinsam mit dem Papierkorb bildete er eine Zeitungsständergruppe.
![Schwarz-Weiß-Foto: Frau sitzt im Stuhl und hält Magazin in den Händen, schaut dabei in die Kamera. Daneben ein Zeitungsständer Schwarz-Weiß-Foto: Frau sitzt im Stuhl und hält Magazin in den Händen, schaut dabei in die Kamera. Daneben ein Zeitungsständer](https://taz.de/picture/1708819/14/wahr_bastelwastl.jpeg)
„Zuerst sterben die Zeitungen, und dann sterben die Zeitungsständer!“ weissagte schon Häuptling Crazy Horst und siehe da, er sollte recht behalten. Denn unbemerkt von einer gleichgültigen Öffentlichkeit hat bei uns ein großes Zeitungsständersterben eingesetzt.
Nun wird sich der jüngere Mensch fragen, „Was ist das, ein Zeitungsständer?“, und verzweifelt auf seinem i-Phone herumwischen. Ein Zeitungsständer ist sozusagen ein Zwischenspeicher für auf Papier gedruckte Nachrichten, die der User noch nicht gelesen hat.
Dieser kam früher von der Arbeit heim, sank in seinen Lesesessel, griff zur Tageszeitung, las die Witze und den Sportteil und schlief dann ein. Die restliche, ungelesene Zeitung kam dann in den Zeitungsständer, der einmal die Woche von der Zeitungsleserfrau geleert wurde.
Jene Epoche datiert etwa von 1950 bis 1970 und wird von Kulturhistorikern als die „Goldene Zeitungsständerzeit“ bezeichnet. In dieser Zeit galt ein Haushalt ohne Zeitungsständer als unkultiviert. Doch leider waren die modernen Zeitungsständer verhältnismäßig teuer, ein Modell aus dem Möbelladen kostete gewöhnlich über 100 Mark, was damals viel Geld war.
Zeitungsständer selbst gebaut
Die kostspielige Notlage war für die Bastelzeitung Selbst ist der Mann ein Segen, denn damals machte der richtige Mann noch alles selbst. In nicht weniger als sechs Heften zwischen 1958 und 1964 wurde das Thema „Zeitungsständer selbst gebaut“ ausführlich beschrieben.
Und wie sah so ein Möbelstück damals aus? Ein moderner Zeitungsständer musste seinerzeit vier spitz zulaufende Beine haben, die wie bei John Wayne in „Zwölf Uhr mittags“ gespreizt waren.
Die Seitenwände des Zeitungsständers wurden gerne mit bedruckten, selbstklebenden Kunststofffolien verkleidet. (Damals wurde Kunststoffolie noch mit zwei f geschrieben, solange ist das her!) Als Motive der ff-Folien wurden gerne symbolträchtige Muster genommen, die Orden, Spielkarten oder Bücher zeigten.
Der anspruchsvolle Bastelfreund konnte auch zu edlem Lederimitat oder Leinen greifen. Um Besuchern gehörig zu imponieren, wurden in dem fertigen Zeitungsständer ein bis zwei anspruchsvolle Magazine (Constanze, Vogue) wie zufällig so drapiert, dass der Name auf dem Titel gut zu erkennen war.
Ausgestorbene Gewürzständer
Ähnlich wie bei den ebenfalls ausgestorbenen zweiteiligen Gewürzständern wurde dem selbst gebastelten Zeitungsständer noch ein passender selbst gebastelter Papierkorb im gleichen Design zugesellt, damit sich Ersterer in der übrigen Möbelschar nicht so verloren vorkam.
Doch diese schöne kultivierte Zeit der Zeitungsständer- und Papierkorbgruppen ist leider lange vorbei und nur noch selten steht einer traurig alleine auf dem Flohmarkt oder in Secondhandläden herum. Meistens diskret in den Hintergrund gerückt, weil er dem Flohmarkthändler peinlich ist.
Wer heutzutage aber immer noch im Besitz eines Zeitungsständers ist, sollte ihn keinesfalls wegwerfen. Die Selbst-ist-der-Mann-und-die-Frau-und-alle-übrigen-Genderformen zeigt in ihrer neuesten Ausgabe, was der anspruchsvolle Bastler alles aus einem alten Zeitungsständer machen kann: eine selbst stehende Damenhandtasche, einen lustigen Blumenkasten oder ein bezugsfertiges Vogelhäuschen.
Die dazugehörigen Papierkörbe bleiben allerdings, was sie sind, denn Papier wird immer weggeworfen. Und wussten Sie schon, dass man aus einem Zeitungsständer auch ganz leicht einen Papierkorb basteln kann?
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau