piwik no script img

Die WahrheitBurkas, Äpfel und Birnen

Hartmut El Kurdi
Kolumne
von Hartmut El Kurdi

Verbote von außen führen bei Menschen, die Religion für sich als relevant betrachten, zu einer Binnensolidarisierung.

U m das gleich am Anfang zu klären: Selbstverständlich kann man Birnen und Äpfel miteinander vergleichen. Vergleiche haben nämlich überhaupt erst dann einen Sinn, wenn die Dinge, die man vergleicht, nicht gleich sind. Man schaut hin und her, um festzustellen, worin sie sich voneinander unterscheiden und worin sie sich eventuell doch ähneln.

So, nun zu Burka, Niqab, Kopftuch, Kippa, Kreuzen an der Wand, Vorhäuten, Nonnenschleiern, dem Verbot, Schweine, Rinder oder Blutwurst zu essen oder mit Menschen des gleichen Geschlechts zu pimpern: Religionen haben Vorschriften. Manche dieser Vorschriften stehen in den heiligen Büchern und hatten zu ihrer Entstehungszeit mal einen praktischen Sinn, manche wurden später von übergriffigen alten Männern aus Langeweile und Herrschsucht erfunden. Wie auch immer: Solange man nicht nachweisen kann, dass die Anhänger der jeweiligen Religion mit Gewalt dazu gezwungen werden, diese Gebote einzuhalten, muss man respektieren, dass Menschen sie für sich als relevant betrachten.

Der wichtigste Grund hierfür ist: Verbote von außen führen zu einer Binnensolidarisierung. Ich weiß, wovon ich rede. Ich gehörte als Kind zu den Zeugen Jehovas, wurde also christlich-fundamentalistisch erzogen. Das bedeutete unter anderem, dass ich in den siebziger Jahren – während alle um mich herum eine Kinderversion von Woodstock zelebrierten – ästhetisch und moralisch in der Nachkriegszeit gefangen gehalten wurde. Alle Jungs trugen Haare, wenn schon nicht bis zum Arsch so doch immerhin bis auf den Hemdkragen, ich aber musste mir alle drei Wochen beim Friseur einen Kurzhaarschnitt verpassen lassen.

Jeans waren tabu, stattdessen gab es beige „Stoffhosen“. Mädchen trugen Rock. Knielang. Für die „Versammlung“ wurde ich mit Schlips und Anzug fein gemacht. Als Zehnjähriger. Ich durfte keinen Geburtstag feiern, keine Popmusik hören, nicht in den Sportverein, und für den Fall, das ich einen Unfall hatte, trug ich ein Kärtchen bei mir, auf dem stand, dass ich auch bei Lebensgefahr keine Bluttransfusion bekommen dürfe. Unterschrieben von meiner Mutter.

Klar war: Obwohl ich mich selbst oft unwohl fühlte, glaubte ich, dass es richtig sei, so zu leben. Weil es Gottes Wille war. Und weil die Menschen, die ich liebte, auch so lebten. Hätte irgendwer zu irgendeinem Zeitpunkt beschlossen, man müsse mich zwingen, Jeans zu tragen oder mir die Haare wachsen zu lassen, ich hätte mich gewehrt. Fromme Menschen geben keinem äußeren Druck nach. Zeugen Jehovas haben sich von den Nazis in Konzentrationslagern umbringen lassen, und bis heute gehen sie andernorts in den Knast, um keinen Wehrdienst leisten zu müssen. Das kann man bewundern oder lächerlich finden, ändern kann man es nicht.

Ja sicher, die Äpfel und die Birnen, aber wie heißt es so schön im Einheitsfrontlied: „Es kann die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter sein.“

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Hartmut El Kurdi
Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Königsreichssaalzögling - Au Backe:

     

    Die Erde eine Scheibe -

    Seit ca 3000 Jahren - &

    Ammargadon o.s.ä. -

    Gestern - heute - morgen -

    Jedenfalls - gleich.

     

    Zwang - Zwanghaft - Haft - Tod.

    Ming Mouder04 - löste das so -

    Spendete an der Tür - in der SBZ/DDR

    "Weil - die waren auch bei den Nazis verfolgt!"

    BRD - nicht mehr (s.o.) &

    Für uns - Freigeistige Erziehung.

    kurz - Geht schonn klar.

     

    (ps: Dabei will ich nicht verhehlen -

    Daß mir sich - bei den gar nicht so Wenigen mir bekannten/erlebten

    "Zeugengeschädigten" - Ja!

    Sich jedes mal - der Magen umdreht!)

  • Ich meine, hier wird im falschen Brei gerührt.

     

    Mehr Sinn machen würde die Frage, ob auch der Zugang zur Vernunft oder zumindest der Erwerb der Fähigkeit, vernunftbetonte Entscheidungen treffen zu können, ein grundsätzliches und niedergeschriebenes Menschenrecht sein sollte.

     

    Menschen mögen glauben was sie wollen. Das will ich niemandem abstreiten. Aber die Betonung liegt dabei auf "wollen" und nicht auf "hilflos emotional umkonditioniert werden".

    • @wxyz:

      Sorry - wie meinen?