Die Wahrheit: Soooo gefühlvoll!
Die Emo ist überall und soll stets Produkte verkaufen – bloß nicht intellektuell tiefer greifen.
Dass Privatsender mit Vollgas auf „Emotion pur“ statt auf den Verstand setzen, ist nicht neu; sie müssen es, weil Grips nicht jeder hat, Gefühle aber jeder Trottel. Ebenso alltäglich geworden ist es, dass Firmen in ihrer Reklame weidlich die erst von Rot-Grün geschaffene Möglichkeit nutzen, metertief Emotionen auszubeuten, die mit der beworbenen Ware nichts zu tun haben: Wer Bier säuft, rettet den Regenwald und berauscht sich an dem Gefühl, Gutes zu tun.
Gut verkaufen müssen auch die Zeitungsverlage ihre Produkte, weshalb sich im Gerangel um geldwerte Aufmerksamkeit seriöse Presseorgane online in knatternde Boulevardmedien verwandelt haben und die Zeit sogar eine „Online-Plattform für Geschichten, Ideen und Gefühle“ namens ze.tt. von der Leine gelassen hat. Deren Chef Sebastian Horn erklärt unverhohlen, die dort veröffentlichten Geschichten sollten emotional wirken, nämlich „viral gehen“, also krank machen.
„Nicht intellektuell tiefgreifendere, sondern emotional tiefgreifendere Geschichten“ fordert dementsprechend der Fotojournalist Mads Nissen in der taz und klagt: „Menschen sehen eine Fotografie, lesen einen Artikel, aber sie fühlen nichts.“ Er scheint noch nicht bemerkt zu haben, womit das Publikum gestopft wird: mit Bildern und Texten, die laut Göttinger Tageblatt 2015 zum „Jahr der Gefühle“ machten.
Für die Jahre davor und das aktuell abgespulte dürfte das genauso gelten. Zwar ist es nicht so, dass die Gefühle jedes Mal fingerdick aufgetragen werden; es genügt ein einziges Wort einer Nachricht, um den Text emotional zu durchsäuern: „Leider ist ihr Votum nicht bindend“, jammerte die taz demonstrativ über eine begrüßenswerte, aber eben fehlgeschlagene Initiative von EU-Abgeordneten in der Flüchtlingspolitik – und mancher Leser wohl auch über die Aufhebung der Grenze zwischen Nachricht und Meinung, Bericht und Appell.
Empathie hat Konjunktur
„Weniger Info, mehr Atmo“ wünschte sich einst der Dichter Peter Rühmkorf. Von der leichten Atmo ist es ein Schritt zur schweren Emo. Die geschäftstüchtige Erfindung der „emotionalen Intelligenz“ liegt nun auch schon einige Jahre zurück und hat mittlerweile eine steile „Empathie“-Konjunktur erzeugt. Einfühlung und Mitgefühl ist menschlich; Vernunft, Erkenntnis und Analyse hingegen werden schnell als unmenschliche Störfaktoren empfunden.
Die Infektion mit dem Virus Emotion kann doof und ignorant machen. Wenn Diskutieren und Argumentieren zu Feindesland werden, weil keine Meinung die eigenen Gefühle anknabbern darf, wird die Luft stickig. Zwar muss man nicht gleich mit Mann und Maus die Demokratie untergehen sehen, doch die virale Wirkung hat bereits eingesetzt, wenn ohne echte Bedrohungslage die „gefühlte Sicherheit“ gewährleistet werden muss und anstelle eiskalter Fakten ofenwarm „die gefühlte Gewissheit“ (Le Monde diplomatique) tritt.
Gezielt gestreut wird der Keim von der Herrschaft schon, wenn sie beispielsweise „gerne“ vors Volk tritt: „Wenn Sie etwas über meine Arbeit als Bundesministerin erfahren wollen, schauen Sie gerne auf die Seite des Ministeriums“ – um gerne zu erfahren, was einen zornig macht? Ebendem soll das Wörtchen vorbeugen, indem es die Leute freundlich stimmt.
Surrogat statt wahrem Gefühl
Es gibt in der verwalteten und verwirtschafteten, auf Effizienz und stolperfreies Funktionieren zurechtgehämmerten Welt einen unbefriedigten Bedarf nach Gefühlen. Ob der aber wirklich vorn und hinten befriedigt oder bloß gerne mit Surrogaten abgespeist wird, kann jeder selbst entscheiden, der seine „Freunde“ auf Facebook zählt, seinem Smartphone zärtlich zugetan ist und Dinge nicht länger nur mag, sondern bekennt: „Ich liebe Erdbeereis.“
Ein zugegeben billiges Beispiel, aber es steht dafür, dass die „Liebe“ nicht Liebe ist, sondern sich in Dunst aufgelöst hat und auf diese Weise jede aufs Aufbauschen von Gefühlen gerichtete Rede infizieren kann. Ein anderes, klitzekleines, aber „gerne“ zu besonderer Wirksamkeit aufgeblasenes Virus ist – das Wörtchen „so“.
„So“ ist ein Funktionswort, das vielerlei Zwecken dient. Unter anderem befällt es Sätze, in denen ein sachliches „sehr“ genügen würde – also nicht genügt: „Ich litt so unter schlechter Haut, als ich in meinen Zwanzigern war“, greint Kate Winslet in der BZ. „Die Leute sind so gestresst. Jeder fühlt sich sicher, aber so allein“, wimmert eine Stylistin im Spiegel. „Junge Leute sind so enttäuscht“, weint eine taz-Überschrift; dabei hat es „so vielversprechend begonnen“, heult wiederum der Spiegel. Ein „sehr“ wäre bloß Info, das „so“ aber manscht die Emo bei, in der ein Ego Zustimmung heischt. „Man liest es leicht, mit Anteilnahme an seinen so sympathischen Figuren“, knuddelt die taz ein Buch.
Blöd nur, wenn vor lauter Emo die Info Beulen kriegt! In München trug ein Flüchtling ein Pappschild, auf dem „I am so afraid of the police“ stand. Das Ich, das sonst ungenannt seine eigene, „so“ wichtige Sicht der Dinge unterzurühren pflegt, stellte sich damit explizit in den Mittelpunkt – die Folge: Die Aufmerksamkeit bleibt zuerst wegen des Ich und zuletzt dank des „so“ an der einzelnen Person kleben, obwohl die Allgemeinheit, an die sie sich wendet, besser schnurgerade die mutmaßliche Ursache der Angst anpeilte: die Polizei.
(„Mutmaßlich“ deshalb, weil der Flüchtling sein Ich in den Vordergrund rammt, weshalb die Ursache der Angst im Ich zu finden sein kann. Hätte der Mann wenigstens ein „Wir“ austrompetet und damit die Gesamtheit der Flüchtlinge einbezogen, wäre die politische Spitze klarer und der Wunsch nach Empathie, besser: nach Solidarität durch die Gesellschaft unmissverständlich. Die Egozentrik aber macht die politische Aussage flügellahm.)
Doch ob Ich, ob Wir: Das „so“ ist überflüssig. Ohne es gewönnen hier – wie in vielen der zitierten Sätze – die anderen, die bedeutsamen Worte an Gewicht: erneut ein Beleg, dass Gefühl und Gedanke nicht nahtlos zusammenklucken können.
So!
Es schließt mit lieben Grüßen:Peter Köhler
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