Die Wahrheit: Nordkorea takes it all
Nach Naidoos Rückzug wird jetzt der große Diktator Kim Jong Un beim ESC im Mai 2016 in Stockholm singen.
Die Sülze um den Rechtsbarden Xavier Naidoo und seine vereitelte Teilnahme am nächsten europäischen Gesangswettbewerb, kurz ESC, ist noch nicht zur Gänze gegessen, da erklimmt ein Mann die Medienbühne, auf den in diesem musikalischen Zusammenhang niemand gekommen wäre. Erstmals wird wohl auch Nordkorea beim ESC 2016 auftreten. Wie aus gut informierten Kreisen verlautet, möchte Staatschef Kim Jong Un selbst den musikalischen Beitrag seines Landes im schwedischen Stockholm interpretieren.
Dass das abgeschottete asiatische Land im kommenden Jahr beim ESC dabei sein wolle, habe man in der europäischen Rundfunkunion (EBU) mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, denn anders als die europäischen und maghrebinischen Teilnehmer sei Nordkorea ja kein Mitglied der EBU und daher eigentlich nicht teilnahmeberechtigt. Nordkorea hingegen wolle nach offiziellen Angaben mit seiner Teilnahme „die kulturellen Beziehungen zu Europa ausbauen und festigen“.
Ein Schweizer Diplomat, der namentlich nicht genannt werden möchte, beschreibt die Situation etwas konkreter: „Kim Jong Un hat im Gespräch mit den Veranstaltern auf die erneute Teilnahme Australiens verwiesen und unmissverständlich klargemacht, dass er sich im Finale des ESC 2016 sieht.“ Dass er andernfalls mit einer empfindlichen Militäraktion gegen Südkorea gedroht haben soll, sei jedoch nicht bestätigt worden, so der Diplomat.
In seinem Heimatland wird der Vorstoß des Herrschers Kim Jong Un begeistert aufgenommen, die staatlichen Medien feiern ihn als „besten Sänger aller Zeiten“, der den „Ruhm Koreas in alle Welt tragen wird“. Über das Lied, mit dem Kim antreten will, ist derzeit noch nicht viel bekannt, bis auf den Titel: Er lautet „Stail Nam Gang“. Laut nordkoreanischen Medien handle es sich dabei selbstverständlich um eine ganz eigenständige Komposition „von höchster musikalischer Qualität“. Eine Ähnlichkeit mit dem südkoreanischen K-Pop-Hit „Gangnam Style“ könne nicht nachgewiesen werden. Wer anderes behaupte, müsse im Übrigen mit der Todesstrafe rechnen.
Hast du Töne, Kim?
Doch Kim Jong Un möchte nicht nur sein Land beim ESC 2016 repräsentieren, er soll das Lied auch selbst geschrieben haben. Enge Vertraute des Souveräns berichten übereinstimmend, dass Kim bereits als Kleinkind die Familie mit musikalischen Darbietungen unterhalten haben soll. Es habe dabei in der Diktatorenfamilie stets eine heiter-gelöste Stimmung geherrscht.
Während seiner Schulzeit in der Schweiz, die Kim in den 1990er Jahren inkognito absolvierte, habe er dann seine Vorliebe für den European Song Contest entdeckt und auch einige der Finalshows besucht. Er sei daher beglückt, so seine Vertrauten, dass mit der Zulassung Australiens nun auch der Weg für seine große Nation freigeworden sei, an dem weltberühmten Wettbewerb teilzunehmen.
Ob Kim Jong Un sich Chancen auf einen der vorderen Plätze ausrechnet, wollte unser Gesprächspartner in Pjöngjang nicht direkt kommentieren. Natürlich wünsche sich jeder, der dort antrete, den Sieg, doch sicher sein könne man „normalerweise ja nicht“, hieß es.
Der Schweizer Diplomat befürchtet allerdings, dass Kim bereits Maßnahmen vorbereite, die ihm den Sieg in Stockholm garantieren sollen. Gut unterrichteten Quellen zufolge plane er, bei schlechtem Abschneiden die Stadt Lugano probehalber dem Erdboden gleichzumachen.
Kim Stock Holm - er lebe hoch!
Offiziell habe Kim allerdings erklären lassen, falls er gewinnen sollte, wolle er den 14. Mai zum koreanischen Nationalfeiertag ausrufen, sein nächstes Kind Kim Stock Holm nennen und generell als international anerkanntes Musikgenie in die Geschichte eingehen. Überdies wolle er bei der Ausrichtung des ESC 2017 Fernsehzuschauern in aller Welt ein nie dagewesenes Spektakel bieten.
Dabei solle dem von ihm hochgeschätzten MDR-Fernsehballett eine zentrale Rolle zufallen. Das sei „solide Unterhaltung auf höchstem Niveau“, wie er sie bewundere und vermehrt im eigenen Lande fördern werde. In Kombination mit den besten kulturellen Kräften seines Landes werde es einen ESC geben, der die Welt „in Erstaunen versetzen“ werde. Aus dem Umfeld des ARD-Intendanten hieß es, die Rundfunkanstalten planten bereits für 2016 ein Casting unter dem Arbeitstitel „Unser Song für Pjöngjang“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste