Die Wahrheit: Ein typisch irischer Vorname

Er hasse seine Mutter, sagte der Teenager im Wartezimmer der Ärztin. „Warum hat sie mir bloß diesen Namen gegeben?“

Er hasse seine Mutter, sagte der Teenager im Wartezimmer der Ärztin. „Warum hat sie mir bloß diesen Namen gegeben?“ Sie selbst heiße Mary Murphy, ein biblischer Vorname und ein Allerweltsnachname. Vermutlich gebe es allein in Irland eine halbe Million Mary Murphys, mutmaßte der 14-Jährige. „Mich gibt es nur einmal.“ Er hätte nichts gegen einen biblischen Vornamen einzuwenden gehabt.

„Meinetwegen John oder Michael oder irgendein anderer Heiliger“, sagte er. „Mein Namensgeber hat es nur bis zum Bischof gebracht, und das ist auch schon ein paar Jahrhunderte her.“ Zum Teufel mit ihm, fügte er hinzu und rieb sich den Knöchel, der bunt wie eine Narrenkappe war und stark angeschwollen schien.

Was denn passiert sei? „Meine Mitschüler haben mich wieder mal wegen meines Namens gehänselt, und da wollte ich einen vermöbeln“, sagte er. Doch der habe sich in letzter Sekunde geduckt, so dass der Hieb einen Türrahmen traf, und der war nun mal stärker. Möglicherweise sei der Knöchel gebrochen, unkte er.

Inzwischen war es vollkommen still im Wartezimmer, alle hörten den Erzählungen des Jungen zu. Eine stark erkältete ältere Dame legte ihm ihre Hand auf die Schulter und fragte mitleidig, wie er denn zu seinem Namen gekommen sei. „Der Wirtschaftsboom ist schuld“, antwortete er. „Ab Mitte der neunziger Jahre kamen Tausende Einwanderer aus Osteuropa. In einen verliebte sich meine Mutter. So kam ich zustande.

Mein Vater bestand darauf, dass ich den Namen seines Vaters bekam.“ Alle seine Kinder, und das waren sieben, haben ihrem erstgeborenen Sohn diesen Namen gegeben. „Aber die haben wenigstens einen dazu passenden Nachnamen und leben nicht in Irland“, klagte er.

Vor fünf Jahren war der Boom vorbei, der Vater ging zurück in seine Heimat. „Er hinterließ nichts außer meinem Namen“, sagte der Teenager. „Dabei habe ich den Namensgeber, meinen Opa, nie kennengelernt.“ Er könne doch seinen Namen ändern lassen, riet ihm ein Mann. In bestimmten Fällen sei das sogar kostenlos, zum Beispiel wenn man Hitler heiße.

„Was meinen Sie“, fragte der Junge, „was ich an meinem 18. Geburtstag tun werde? Wenn man nicht volljährig ist, braucht man eine Genehmigung der Eltern. Die habe ich aber nicht.“ Wegen seines Namens sei auch die Beziehung zu seiner ersten Freundin in die Brüche gegangen. Sie hatte darauf bestanden, ihm einen Kosenamen zu geben, weil sie seinen Namen nicht aussprechen konnte.

„Also nannte sie mich Biggy.“ Es dauerte nicht lange, da wandelten seine Mitschüler den Kosenamen ab, fortan hieß er „Piggy“. Die Freundin machte daraufhin Schluss, weil sie nicht mit einem „Schweinchen“ zusammen sein wollte, meinte er grimmig.

Eigentlich dürfe er gar nicht wütend sein, denn sein Name bedeute „den Zorn zerstreuen“. Wie er denn nun heiße, wollten die Leute im Wartezimmer endlich wissen. In dem Augenblick öffnete die Arzthelferin die Tür und rief den nächsten Patienten auf: „Zbigniew Murphy, bitte!“ Gestern war sein Namenstag.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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