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Die WahrheitGerald, der Griot

Kolumne
von Bernd Gieseking

An einem Montagabend in Hannover eine lohnenswerte Veranstaltung zu finden, ist nicht leicht. Aber dann erschien Gerald Asamoah ...

I ch war kürzlich an einem Montagabend in Hannover. Ich suchte Zerstreuung, Theater, Film, Musik, irgendwas Aufregendes in der Landeshauptstadt Niedersachsens. Nicht unbedingt eine Metropole. Aber hätte Niedersachsen etwa Goslar zur Hauptstadt wählen sollen? So viel Auswahl hatte der Niedersachse da gar nicht. Obwohl in Goslar zurzeit wenigstens mal George Clooney ein paar Tage zu sehen ist, wie die Hannoversche Allgemeine fast ungläubig und begeistert auf dem Titel schrieb: „Echt wahr“. Wenn das schon eine Meldung ist in Hannover, erklärt sich vieles andere auch.

Wenn man auf einem Montagabend Kulturelles sucht, ist eigentlich jede deutsche Stadt schwach auf der Brust, Hannover röchelt regelrecht. Da bot sich in der Not eine Lesung. Hannover ist die Stadt schlimmer Musik (Scorpions), wunderbarer Barden (Wohnraumhelden), großer Justizirrtümer (Christian Wulff), deutscher Schlagermärchen (Lena), aber Hannover ist auch die Stadt begnadeter Geschichtenerzähler, nämlich Frank Wedekind, Theo Lingen und Doris Dörrie. Und nun auch – Gerald Asamoah!

Asamoah ist Fußballer, aus Ghana stammend und in Hannover aufgewachsen, gestartet bei BV Werder, dann Hannover 96, später mit Schalke 04 „Meister der Herzen“, deutscher Nationalspieler mit zwei Weltmeisterschaftsteilnahmen und zuletzt Vertrag bei Greuther Fürth. Asamoah hat zusammen mit dem Sportjournalisten Peter Großmann eine Biografie geschrieben. Der lässige Großmann ist eine ARD-Pflanze, die viel zu früh blüht, und zwar im „Morgenmagazin“.

Gerald Asamoah war nach dem Fürther Training nach Hannover gehetzt und erschien mit einer, wie wir erfuhren, für ihn durchaus typischen Verspätung. In der nun ablaufenden Lesung, bei der Gott sei Dank aus dem wirklich sehr guten Buch nicht eine Zeile gelesen wurde, führte Großmann mit exzellent geschlagenen Pässen und feinen Einwürfen Asamoah zu den Stationen seines Lebens. Das war so witzig wie rührend und bitter, wenn es um den Rassismus in deutschen Stadien ging, denen Asamoah immer wieder ausgesetzt war.

Der Griot ist ein traditioneller ghanaischer Geschichtenerzähler. Asamoah hat dort nicht lange gelebt, aber lang genug, um diese Tradition in sich zu verankern. Gerald, der Griot, ließ seine Zuhörer lachen und staunen. Und schämen, wenn es um rassistische Attacken gegen ihn ging, zum Beispiel in Cottbus, im „Stadion der Freundschaft“.

Als ich vor fünf Jahren nach Dortmund zog, musste ich als Erstes lernen: Für Dortmunder ist die Schalke-Heimat Gelsenkirchen „die verbotene Stadt“. Man spricht nur von „Herne-West“. Umgekehrt spricht der Schalker nur von „Lüdenscheid-Nord“. Asamoah zu Großmann: „Ihr Lüdenscheider liebt mich nicht.“ Und gerade deshalb: Die eigentliche deutsche Integrationsgeschichte war dieser Abend mit dem Journalisten Peter Großmann als bekennendem Dortmund-Fan und Gerald Asamoah als ewigem Schalke-Spieler. Na bitte, es geht doch! Und sogar in Hannover.

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