Die Wahrheit: Godard auf den Straßen von Berlin
Ein Tag aus der Serie „Die Straßen von Berlin“, ohne Großschauspieler, aber mit Laiendarstellern in unbegrenzter Zahl.
I mmer wieder interessant ist ein Tag aus der Serie „Die Straßen von Berlin“, die ohne Großschauspieler auskommt, dafür aber Laiendarstellern in unbegrenzter Zahl Raum zur freien Entfaltung bietet.
Der Morgen beginnt mit dem Versuch, das Auto zu benutzen. Vor der Haustür entfaltete sich folgendes Panorama: Fast die komplette Fahrbahn wird von einem Pick-up blockiert, von dem ein Kran mit aufreizender Langsamkeit Baumaterial auf den Bürgersteig lädt. Dahinter stehen schief geparkt zwei Transporter, deren Fahrer offenbar fluchtartig das Weite gesucht haben. Fahrzeuge bilden einen geschlossenen Kreis um den kleinen Platz vorm Haus und stauen sich in sämtlichen umliegenden Straßen.
Es sieht aus wie in dem Film „Weekend“ von Godard. Wird es zu Waffengewalt kommen? Die Verkehrsteilnehmer sind allerdings schon so entkräftet, dass nicht mal mehr gehupt wird. Ich kehre um und hole mein Fahrrad.
Wenig später, unterwegs. Mehrere junge Frauen schleppen wie in einer Chain Gang schwere Kartons aus einem Laden und tragen sie zu einem in zweiter Reihe abgestellten Pkw mit Anhänger, neben dem ein Mann die Frauen zur Eile antreibt. Sein Wagen blockiert ein Auto, das ordnungsgemäß am Straßenrand parkt und dessen Fahrerin gern wegfahren würde. Der Mann ignoriert ihr Bitten, woraufhin eine asiatische Angestellte aus dem Laden eilt, sich vor ihm aufbaut und höflich aber bestimmt fragt.
„Warum machen Sie der Frau nicht Platz, das dauert doch nur ein paar Sekunden?“ – „Wenn ick wegfahre, kommt die nächste!“ Mit dieser bestechend logischen Begründung verschwindet das Ekelpaket im Laden. „Wie rücksichtslos! Das ist nicht schön, was Sie hier machen!“, schickt die Asiatin ihm mit altmodisch feiner Wohlerzogenheit ihren Tadel nach.
In mir wächst gerechter Zorn und ein unheilvoller Drang zur Einmischung. Ich nähere mich der Chain Gang. „Warum hören Sie nicht auf, bis er die Frau rausfahren lässt! Wie steht’s denn mit Ihrer Solidarität? Und soll er doch selber schleppen!“ Gequältes Lächeln. „Das ist der Chef …“ – „Und deshalb darf der sich benehmen wie ein Großgrundbesitzer aus dem 19. Jahrhundert?“ Schulterzucken, weitermachen. Die Asiatin schüttelt den Kopf. „Ich verstehe das auch nicht. Das ist nicht schön!“
Wie tröstend, diese Frau mit ihrer Empörung im Herzen und einem Arsch in der Hose. Ich fühle mich machtlos und fahre nach Hause. In meiner Straße hat sich der Stau aufgelöst, der Verkehr fließt, allerdings gegen die Einbahnstraße. Ein erschrockener Fahrer hupt warnend den heranrasenden Wagen an. Die Frau am Steuer fährt ungebremst auf ihn zu und brüllt durchs offene Seitenfenster: „Hier ist Gegenverkehr!“ Nein, du blinde, rechthaberische Nuss, du fährst falsch rum in der Einbahnstraße!
Tja, endlich Gleichberechtigung, weibliche wie männliche Egozentriker machen in trauter Eintracht zivilisierte Verkehrsteilnehmer platt. Wäre man Superwoman, würde man da mal aufräumen, denn, liebe Schwester im Geiste, ich stimme dir zu, das ist wirklich nicht schön!
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