Die Wahrheit: Der gelbe Riese
Quo vadis Liberalismus, quo vadis Brüderle? In Deutschland gescheitert, wechselt die FDP als Partei der Mitte nun ins Reich der Mitte.
Rainer Brüderle kann wieder lachen. Nach Monaten tiefster Depressionen, nach trübsinnigen Grübeleien über halb leeren Weißweinflaschen hat das „liberale Urviech“ (Horst Seehofer) jetzt wieder Grund zur Freude. Und das Warten, Bangen und Zagen hat sich gelohnt! Jetzt macht sich bezahlt, dass Brüderle nicht, wie viele seiner Kollegen vom auf Grund gelaufenen Lustdampfer FDP, dem Lockruf des schnellen Geldes gefolgt war.
Dass er sich nach der desaströsen Bundestagswahl nicht gleich an den üppigen Busen der freien Marktwirtschaft geworfen hatte, sondern in sich ging, sich in nächtelangen Sitzungen im häuslichen Weinkeller Rechenschaft ablegte und in schonungsloser Offenheit den sauren Wein der Wahrheit schluckte – um sich zu guter Letzt die alles entscheidende Frage zu stellen: Quo vadis Liberalismus, quo vadis Brüderle?
Jetzt, auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart, ist diese Frage entschieden worden, der Weg des freidemokratischen Schwergewichts ist vorgezeichnet – in eine leuchtende Zukunft, fern aller heimatlichen Misshelligkeiten, in eine zweite Karriere im Fernen Osten. Wang Xihou, Direktor des staatlichen Instituts für Zukunftsfragen beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas, hat große Pläne mit dem gelben Riesen aus Deutschland.
Gemäß der Direktive des Volkskongresses „Die Steine ertastend den reißenden Strom der Demokratie überschreiten“ soll die unterentwickelte chinesische Parteienlandschaft vielfältiger werden. Weg von der Monopolstellung der KP, hin zu Öffnung und größerer Wahlfreiheit für das chinesische Milliardenvolk.
Vor diesem Hintergrund ergibt die überraschende Übernahme der FDP durch den chinesischen Staat durchaus Sinn. Die Demokratie-Expertise der liberalen Leistungsträger soll den Rückstand Chinas auf dem Gebiet der Demokratieentwicklung verringern und den Geist der Toleranz in der chinesischen Politik verankern helfen.
Gelb-gelbe Delegierte
„Lainel Blüdele kann uns viel helfen,“ meint denn auch Wang Xihou am Rande der Vorstellung der deutsch-chinesischen Politkooperation in Stuttgart. Nach dem Vorbild der Übernahme maroder westlicher Traditionsunternehmen wie Volvo verspricht sich die chinesische Führung, neben dem guten Markennamen der FDP kostengünstig an das parlamentarische Know-how und die geballte marktwirtschaftliche Kompetenz ihres in Deutschland ausgemusterten Personals zu kommen.
Umgekehrt ergibt sich für die arbeitslosen Liberalen mit dem Deal die einzigartige Chance, wieder ins Politbusiness einzusteigen und beim Aufbau einer funktionierenden Opposition in China mitzuwirken. Rainer Brüderle gibt sich allen heimischen Unkenrufen zum Trotz zuversichtlich: „Wir als Partei der Mitte sind für das Reich der Mitte geradezu prädestiniert“, ruft der Altinternationale den gelb-gelben Delegierten zu.
Die Gefahren, die sich aus dem innovativen Geschäft ergeben könnten, blendet der unverbesserliche Optimist vorerst aus. Zu deprimierend ist ja auch die Vorstellung, in Deutschland nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes endgültig im gesellschaftlichen Abseits zu landen. Beispiele dafür gibt es genug. Albert Friesing, ein liberaler Hinterbänkler, der sich nach seinem Abschied aus dem Bundestag im boomenden Weihnachtsgeschäft bei Amazon verdingte und sich mittlerweile zum glühenden Verfechter eines gesetzlichen Mindestlohns gewandelt hat, sieht das fernöstliche Abenteuer Brüderles aber als durchaus sinnvolle Möglichkeit, prekären Arbeitsverhältnissen hierzulande zu entgehen.
Ob allerdings die politische Zukunft im Land der Morgenröte für die liberalen Hoffnungsträger nur eitel Sonnenschein bringen wird, scheint mehr als fraglich. Die Aussicht, als weitgehend rechtloser Wanderpolitiker und Leihparlamentarier durch die chinesische Provinz zu tingeln und den unwissenden Massen die Vorzüge liberaler Mittelstandsförderung schmackhaft machen zu müssen, von ignoranten Hinterwäldlern eventuell ausgebuht und aus dem Dorf gejagt zu werden, erfordert schon die einzigartige Charakterstärke eines liberalen Urgesteins vom Schlage Rainer Brüderles.
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