Die Wahrheit: Ein Tag im Leben des Harry Rowohlt
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Heute darf sich die Leserschaft an einem Poem über jemanden, der es einfach drauf hat, erfreuen.
Demselben zum morgigen Siebzigsten
Ein Mann mit Namen Harry Ro-
wohlt lebte einst in Gütersloh?
Ach Quatsch! In Hamburg wohnt der Mann –
Ich fang’ noch mal von vorne an:
In Hamburg-Eppendorf – na klar! –
Lebt Harry schon so manches Jahr.
Er hat kein Amt und kein’ Verlach –
Was macht der bloß den ganzen Tach?
Schon früh um sechs, mit ernster Miene,
Sitzt Harry an der Schreibmaschine
Und übersetzt Schnurrpfeifereien
Des irren Iren Flann O’Brien.
Nach circa 48 Seiten
Legt Harry den Gebenedeiten
Beiseite, lutscht jedoch sofort
Rund fünf Kapitel Frank McCourt;
Drei Storys noch von Vonnegut,
Dann fühlt sich Harry etwas matt.
Er zieht ein Zigarettchen durch
Und schläft zwei Stunden wie ein Lurch.
Kaum aufgewacht, so gegen vier,
Wirft er paar Verse aufs Papier,
Die stehen später – kein dumm Tüch, Mann! –
An jeder Klowand und im Büchmann.
Doch halt, wir greifen schon voraus,
Denn jetzt geht Harry außer Haus,
Eilt, in Ermanglung eines Huts,
Mit Mütze und in Cowboy-Boots,
In die Fabrik, nach Altona;
Und wir, wir sitzen auch schon da
Und freuen uns und sind ganz Ohr,
Denn jetzt liest Harry uns was vor.
In Jeans und Boots und dunklem Shirt
Liest Harry Flann und Frank und Kurt,
Und dann liest er von Pooh, dem Bären,
Und wir, als ob wir Kinder wären,
Wir weinen, weil’s so schön und wahr ist,
Und weil auf einmal alles klar ist,
Weil Harry so verdammt gut liest,
Und weil die Zeit so schnell verfließt,
Und weil wir alle bald nach Haus gehn,
Und weil mir gleich die Reime ausgehn,
Und weil die Welt vor allen Dingen …
Doch jetzt fängt Harry an zu singen;
Er brummt ganz ohne Gottvertrauen:
„Sstadt Hamburch an der Elbe Auen …“
Und geht. Wir denken kollektiv:
„So long, old Harry, hol di stief!“
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