Die Verantwortung von Superreichen: Von König Midas lernen
In der globalen Wirtschaftskrise explodieren die Vermögen der extrem Reichen. Deren Exzesse sind buchstäblich tödlich für unseren Planeten.
![Yachte in einer Messehalle. Yachte in einer Messehalle.](https://taz.de/picture/4432357/14/reichtum-armut-corona-covid-19-gewinn-1.jpeg)
K önig Midas war reich. Extrem reich. Unermesslich und unantastbar, denn alles, was er berührte, verwandelte sich in Gold, die Rosen im Garten seiner Tochter ebenso wie die gegrillte Dorade auf seinem Teller. Weswegen er gemäß einer der vielen Legenden, die sich um ihn ranken, verhungerte.
König Mansa Musa aus Mali war reich. Extrem reich. So reich, dass der Goldpreis in Kairo zusammenbrach, als er mit Tausenden von Höflingen auf Hadsch ging, auf Pilgerschaft nach Mekka und Medina. Bei der Rückreise konnte er seine riesige Entourage kaum ernähren, so wenig war sein Gold inzwischen wert.
Mythen sind unterhaltsam und lehrreich. Zu viel Reichtum galt seit je eher als Fluch. Nicht nur für die Onkel Dagoberts, sondern auch für die jeweilige Gesellschaft. Weswegen es höchste Zeit ist, darüber nachzudenken, was mit uns gerade geschieht, da die Vermögen der Ultrareichen explodieren.
Schon vor der Pandemie „erwirtschaftete“ das reichste Prozent der Bevölkerung mehr als das Bruttosozialprodukt von 169 Staaten – darunter alle Länder im Nahen Osten und auf dem afrikanischen Kontinent. Die Ultrareichen haben vom Coronavirus besonders profitiert. Laut dem Bloomberg-Milliardärsindex sind die 500 reichsten Menschen der Welt trotz der globalen Wirtschaftskrise nun 813 Milliarden Dollar reicher als zu Beginn des Jahres. Das Gesamtvermögen der Ultrareichen sei im Juli auf einen neuen Höchststand von 10,2 Billionen Dollar, gegenüber 8,9 Billionen Dollar Ende 2017, gestiegen. Der größte Reibach wurde im Technologie- und Gesundheitssektor gemacht. Die Nettovermögen in den Bereichen Unterhaltung, Immobilien und Finanzen wuchsen im Vergleich dazu um bescheidene 10 Prozent.
Ilija Trojanow ist Schriftsteller, Weltensammler und Autor zahlreicher Bücher, darunter: „Macht und Widerstand“ und „Nach der Flucht“. Im August erschien sein neuer Roman „Doppelte Spur“ bei S. Fischer.
Einem Bericht der Schweizer UBS zufolge haben die Milliardäre dieser Welt ihr Vermögen von April bis Juli dieses Jahres um mehr als ein Viertel gesteigert, also zu einem Zeitraum, als Milliarden von Menschen ihre Arbeit verloren oder nur aufgrund von staatlichen Programmen überleben konnten. Diese Unsummen wurden zumeist auf den Aktienmärkten ergattert, die sich erstaunlich schnell von ihrer anfänglichen Baisse erholten. Laut UBS hat die Zahl der Milliardäre mit 2.189 einen neuen Höchststand erreicht.
Wer sich über die Verhältnisse hierzulande informieren will, sei auf die Webseite der World Inequality Data Base verwiesen. Eine Grafik ist besonders interessant: Der Anteil am Gesamteinkommen der obersten zehn sowie der untersten fünfzig Prozent. 1984, als ich zu studieren begann, lag der Anteil der Oberen bei 23,3 und der Unteren bei 30,2 Prozent. Dreißig Jahre später hat sich die Verteilung umgedreht. Nun erhalten die oberen zehn Prozent 30,4 und die untere Hälfte nur mehr 25,9 Prozent. Wir haben also eine massive Umverteilung von unten nach oben erlebt. Und da behaupten immer noch viele in der Politik, sie seien gegen Umverteilung.
Sind diese Realitäten nur Schönheitsflecken auf dem makellosen Körper des Kapitalismus oder maligne Melanome, die wirtschaftlich und sozial destruktive Auswirkungen haben? Letzte Woche erschien auch eine Studie von Oxfam und dem Stockholmer Umweltinstitut, nach der das wohlhabendste Prozent der Weltbevölkerung zwischen 1990 und 2015 für den Ausstoß von mehr als doppelt so viel Kohlendioxid verantwortlich war wie die ärmere Menschheitshälfte.
Wer viel mehr Geld hat, als er oder sie ausgeben kann, investiert meist in destruktive Industrien wie fossile Brennstoffe und Bergbau. Extremer Reichtum wird nicht „verdient“, sondern extrahiert – der Natur entrissen von unterbezahlten Arbeitern, gesichert durch Monopolmacht und politische Einflussnahme. Darüber sollten wir ein demokratisches Gespräch führen: Ab welcher Ziffer wird Raffen und Horten sozial unverträglich? 10 Millionen? 50 Millionen? 100 Millionen?
In der Epoche eines drohenden ökologischen Zusammenbruchs sind derartige Exzesse buchstäblich tödlich. Die Existenz von Milliardären ist mit der Einsicht in planetarische Grenzen unvereinbar. Wer auf einem halbwegs intakten Planeten halbwegs human leben möchte, muss etwas gegen diese perverse Ungleichheit unternehmen. Das ist weniger radikal, als es auf den ersten Blick erscheint: Selbst ein klassisch sozialdemokratischer Wirtschaftswissenschaftler wie Thomas Piketty stellt klar: „Eine drastische Verringerung der Kaufkraft der Reichsten hätte an sich schon erhebliche Auswirkungen auf die Verringerung der Emissionen auf globaler Ebene“. Erst kürzlich forderte er eine Sondersteuer für hohe Vermögen.
Christentum als politisches Programm
Das wäre sogar im Interesse der Ultrareichen, denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihr Reichtum angesichts von Milliarden hungernder und dahinsiechender Menschen zu gewalttätigen Konflikten führen wird. Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich zerreißt irgendwann einmal das soziale Gefüge. Wie mir Hans Peter Haselsteiner, Inhaber der Strabag, Platz 24 auf der österreichischen Milliardärsliste, vor Jahren anvertraute, müsse seine Klasse für ein Auskommen aller sorgen (daher seine Unterstützung eines bedingungslosen Grundeinkommens), denn sonst könnte sie alles verlieren.
Vielleicht könnten wir vor der Bundestagswahl 2021 ausnahmsweise mal das Christentum als politisches Programm ernst nehmen. Schlagen wir nach in der Apostelgeschichte (2,44–45): „Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.“
So wie König Midas, der gemäß einer anderen Legende alles aufgab, umherwanderte, Pan anbetete und Schüler von Orpheus wurde. Ein gelungenes Lied, das ist wahrer Reichtum. Und es tut niemandem weh.
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