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Die Urbanität der Nomaden

Das 21. Jahrhundert wird, mehr noch als das vergangene, das Jahrhundert der Städte sein. Doch diese Städte werden anders sein als die, die wir kennen: nicht mehr nur Orte, an denen wir leben, sondern Räume für die Suche nach einer besseren Zukunft

von UWE RADA

Im „Kursbuch Stadt“, in dem sich die Visionäre unter den Urbanisten mit der Zukunft der Stadt beschäftigen, ist sich selbst Manuel Castells nicht mehr sicher. Ist die Stadt nun tot oder nicht? Die Interaktion zwischen Informationstechnologien und sozialem Wandel, meint der kalifornische Soziologe, führe nicht nur zu einem „veränderten Layout“ der Städte. Auch die herkömmlichen Verhaltensmuster würden aufgebrochen und verwandelten sich in ein „flüssiges Netzwerk von Austausch, das die Basis für das Entstehen einer neuen Art von Raum, dem Raum der Ströme bildet“.

Das Ende der Stadt, jene Metapher, die so alt ist wie die Städte selbst, hat auch im 21. Jahrhundert Konjunktur. Allenthalben erscheinen Berichte über die suburbane „Apokalypse“ von Los Angeles. Die Auflösung des sozialen Raums der Stadt in den virtuellen Raum des Cyberspace beschäftigt eine ganze Zunft von Futurologen. Offenbar verlangt der Umgang mit den urbanen Formen der Zukunft nach immer neuen Szenarien, von denen das Ende der Stadt immer dann in Mode kommt, wenn diese sich wieder einmal behauptet. Dass sich nun auch Manuel Castells mit diesem vermeintlichen Ende beschäftigt, mag auf den ersten Blick verwundern. Hatte er doch in den Siebzigerjahren mit dem Gegensatzpaar „Ghetto“ und „Zitadelle“ jene urbane Topografie beschrieben, die in den Städten der Gegenwart mittlerweile Realität geworden ist.

Tatsächlich verbirgt sich hinter dem „Space of Flows“, dem „Raum der Ströme“, nicht das Ende der Stadt, sondern ihre Neuerfindung im Zeitalter der Informations- und Menschenströme. Die Aufteilung der Stadt in „Ghettos“ und „Zitadellen“ existiert weiter, sie wird nur von einem neuen Patchwork von Ort, Raum und Zeit durchdrungen. Die Stadt ist nicht tot, wir erkennen sie nur nicht wieder.

Lebt heute schon über die Hälfte der Erdbevölkerung in den urbanen Ballungszentren, werden es in 25 Jahren zwei Drittel, das heißt rund fünf Milliarden, sein. Das ist das Ergebnis des „World Report on the Urban Future 21“, der für den Weltstädtekongress „Urban 21“ verfasst wurde. Der Run auf die Städte und die Hoffnung auf Teilhabe am Reichtum, an Arbeit und Bildung, führt die Stadtmigranten geradewegs in die urbanen Räume des 21. Jahrhunderts, in die informellen Siedlungen von Lagos bis Hyderabad, die Shopping Malls von Alberta und Leipzig oder den Suburban Sprawl von Nowhere City.

Zugleich führt er zu einer Ungleichheit, die noch vor kurzem unvorstellbar schien: Ohne Gegensteuerung, heißt es im „World Report“, wird bald die Hälfte der Stadtbewohner in Slums leben. Das ist die andere Dimension von Ghetto und Zitadelle. Die einen hängen fest an den Orten der Ausweglosigkeit, die andern oszillieren im urbanen Raum von Erfolg, Konsum und Körperkult.

Auch im 21. Jahrhundert wird sich damit, wie es oft behauptet wird, der Zusammenhang zwischen dem Hyperwachstum der Finanzmärkte und denen der Elendsquartiere, keineswegs überleben. Was sich dagegen überlebt hat, ist die Gemütlichkeit der Urbaniten. An der Jahrtausendwende sind wir plötzlich alle wieder Nomaden, immer auf der Suche, niemals am Ziel. Im „Raum der Ströme“ wird man nur schwer noch eine Heimat finden können. Höchstens ein Eigenheim mit Elektrozaun oder eine Shopping-Mall mit italienischem Eisverkäufer.

Im eingangs erwähnten „Kursbuch Stadt“ schreibt der holländische Theoretiker Rem Koolhaas, mit dem Ende des 20. Jahrhunderts sei auch das Jahrhundert des Glaubens an die Planbarkeit von Stadt zu Ende gegangen. „Sollte es einen neuen Urbanismus geben, dann wird sich dieser nicht auf die Zwillingsfantasien von Ordnung und Omnipotenz stützen; er wird Unsicherheit stiften“. Koolhaas räumt ein: „Wir bauten Sandburgen. Jetzt schwimmen wir in dem Meer, das diese weggespült hat.“

Das Meer, das sind die Städte des neuen Jahrhunderts, sind – mehr noch als Suburbia – die an die Zentren heranrückenden Peripherien oder der symbolische Urbanismus einer in Schieflage geratenen Mittelschicht, die ihre zunehmende ökonomische und individuelle Verunsicherung immer weiter in den Raum der Stadt trägt. Und es ist die trotzige Existenz der Ausgeschlossenen, die sich nach der Aufkündigung des Rechts auf Gleichheit an keine Gesetze mehr zu halten brauchen, nicht einmal mehr an ihre eigenen. Mit „Good Governace“, jener globalen Idee von Quartiersmanagement, die im „World Report“ nahe gelegt wird, kann man zwar Wasserleitungen organisieren, aber keine bessere Zukunft.

War das Auto der ungelöste Widerspruch des 20. Jahrhunderts, werden es künftig jene sein, die sich den Autos der Reichen in den Weg stellen. Im grenzenlosen Glauben an die Planbarkeit der Städte hat man nämlich eines vergessen. Je weiter eine Gated Community vom nächsten Autobahnanschluss entfernt ist, desto gefährlicher wird sie für ihre Bewohner.

Wer sollte darüber ernsthaft überrascht sein?

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