Die USA nach den Anschlägen in Paris: Beten und Wahlkämpfen
Die Anschläge in Frankreich rücken bei den demokratischen Präsidentschaftskandidaten den Terrorismus ins Zentrum der Debatte.
Die Frau meldet sich mit der dreimaligen Nennung des Namens „Hillary“ zurück. Und fährt fort, die Ex-Außenministerin sei die erfahrenste und beste Präsidentschaftskandidatin, um die Krise zu meistern. In ihrer Kneipenhälfte fühlen sich die Bernie-Sanders-Unterstützer überrumpelt.
„Unser Kandidat ist gegen Krieg, er ist friedliebend und einer, der verhandeln will“, erklärt Studentin Jessica Frisco, „aber Amerikaner im Allgemeinen setzen eher auf Rache. Und darauf, den IS in Grund und Boden zu bomben.“
Sie war neun, als 9/11 stattfand. Und sie hält die seither geführten Kriege für falsch. Unter anderem, weil dabei mehr US-Soldaten gefallen sind, als Menschen am 11. September in den USA umkamen. Am Tag nach Paris erwartet sie bei der Debatte eine schwierige Gemengelage für Bernie Sanders.
Jessica Frisco, Studentin
Champagner statt Gebete
Im anderen Teil der Kneipe sieht ein junger Mann eine Chance für seine Kandidatin. „Jeder Terrorismus ist schrecklich“ sagt Brian Block, der an der New Yorker Börse arbeitet. „Amerika nimmt so etwas nicht hin.“ Er ist überzeugt, dass Clinton in der Debatte zeigen wird, dass sie eine „erfahrene und starke Frau“ ist.
Noch während am Vortag in Paris die Geiselnahme und das Massaker im Bataclan liefen, haben US-Amerikaner mit „Gebeten für Paris“ reagiert. Bis zum Freitagabend breitete sich in New York das Hashtag #PrayerforParis wie ein Lauffeuer aus. In Frankreich antwortete der Cartoonist Joann Sfar: „Danke für eure Gebete. Aber wir brauchen nicht mehr Religion. Unser Glaube ist Musik, Küsse, Champagner und Freude.“
Die Gewalt in Paris hat auch die Themen der zweiten demokratischen TV-Runde in den USA verändert. Nun steht Terrorismus im Zentrum. Auch Hillary Clinton schickt ihre Gebete nach Paris. Aber sie sagt: „Das reicht nicht.“ Sie ist ganz in Schwarz zu dieser Runde mit drei verbleibenden Kandidaten erschienen. In ihrem dritten Satz macht sie klar, dass es bei der Wahl sowohl um den Präsidenten als auch den Obersten Befehlshaber geht, und sie klingt, als säße sie bereits im Weißen Haus.
Sie bezeichnet Terrorismus als „größte Herausforderung“. Sie will IS nicht „eindämmen, sondern bezwingen“. Und sie meint, dass es kein rein „amerikanischer Kampf“ sein kann, sondern einer mit internationaler Beteiligung. Aber dass das „unbedingt unter amerikanischer Führung“ geschehen muss.
Auch gegen die Irak-Invasion
Bernie Sanders sieht das meiste davon anders. Auch nach Paris hält er an dem fest, was er vorher gesagt hat: dass Klimawandel die größte Bedrohung der nationalen Sicherheit sei. Und er fügt hinzu, dass Klimawandel „mit der Zunahme von Terrorismus zusammenhängt und zu allen möglichen Arten internationaler Konflikte führen wird“. Von rechten Kommentatoren wird er dafür hinterher verhöhnt, als wäre er nicht zurechnungsfähig. Aber während der Debatte erhält er viel Beifall.
Auch in der Kneipe in Harlem sind besonders viele seiner Meinung, wenn er gegen Krieg ist. Sanders beschreibt die Irak-Invasion als „den schlimmsten außenpolitischen Fehler“. Er selbst hat damals – mit einer kleinen Minderheit im Kongress – gegen die Invasion gestimmt. Clinton war dafür.
Bei der TV-Debatte beschreibt Sanders die „Auftrennung“ und die „Destabilisierung der ganzen Region und das Entstehen von al-Qaida und IS als Konsequenzen jener Invasion. Zusätzlich zählt er Umstürze vom Iran über Chile bis nach Guatemala auf. „Wir sind uns da nicht einig“, sagt er zu Clinton. „Meine Position zu Regimewechseln ist konservativer.“
Er widerspricht ihr auch bei der militärischen Führungsrolle im Kampf gegen IS. Für ihn müssen die Golfstaaten führen. Der Freitag in den USA hatte mit einer Erfolgsmeldung aus dem Kampf gegen IS begonnen. Die Medien berichteten, US-Drohnen hätten beim Angriff auf die irakische Stadt Sindschar “Jihadi John“ getötet, der mehrere US-Geiseln vor laufender Kamera geköpft hat.
Als hätten sie darauf gewartet
Am selben Morgen wurde ein Fernsehinterview mit Präsident Barack Obama gesendet. Darin erklärte er, dass IS nicht an Stärke gewinne. Er prognostizierte aber auch, dass die Terrorgruppe nicht „geköpft“ und ihre Bekämpfung ein „Mehrjahresprojekt“ sei.
Als wenige Stunden später die Nachrichten aus Paris kommen, spricht der US-Präsident von einer „Attacke gegen Menschheit und universelle Werte. Und er sagt Frankreich Hilfe zu. Manche republikanische Präsidentschaftskandidaten hingegen reagieren, als hätten sie auf die Gelegenheit gewartet.
Der Texaner Ted Cruz macht die französische Einwanderungspolitik verantwortlich und schlägt für sein eigenes Land vor, keine syrischen Flüchtlinge mehr hereinzulassen. Der Milliardär Donald Trump trägt einen Kommentar bei, der auch direkt von der Rüstungslobby NRA stammen könnte: „Die Attacken wären anders verlaufen, wenn die Leute bewaffnet gewesen wären. Hier hatten nur die Bösen Waffen.“
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