Die Türkei und der Ukraine-Krieg: Zwischen den Fronten

Um russische Kriegsschiffe zu behindern, könnte die Türkei den Bosporus sperren. Allein: Erdoğan würde damit einen weiteren Krieg riskieren.

Eine Frau hält ein Plakat, auf dem Putin blutüberströmt zu sehen ist. Aufschrift "bloody killer". Andere Menschen rundum demonstrieren auch.

Proteste gegen den russischen Angriffskrieg in Istanbul am Samstag Foto: Francisco Seco/ap

ISTANBUL taz | Es ist ein jahrhundertealter Konflikt: Um die Kontrolle der Meerengen von Bosporus und Dardanellen, den einzigen Schifffahrtsweg vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer, sind schon viele Kriege geführt worden. Nachdem es nun lange Jahre so schien, als sei mit einem internationalen Vertrag, den im Jahr 1936 alle Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres unterzeichneten, der Konflikt um die Meerengen ein für alle Mal geregelt, kehrt nun auch an diesem Hotspot der Weltgeschichte die Vergangenheit zurück.

Die Ukraine fordert die türkische Regierung auf, die Meerengen für den Aggressorstaat Russland zu schließen, doch die türkische Regierung zögert, dem nachzukommen. Schließlich sind um just diese Meerengen bereits mehrere Kriege zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, dem Vorläuferstaat der heutigen Türkei, geführt worden und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hadert zu Recht, weil er die Türkei nicht in einen neuen Krieg mit Russland führen will.

Der Kampf um die Meerengen zwischen Russland und dem Osmanischen Reich begann, nachdem die Osmanen 1453 Konstantinopel eroberten und dem Byzantinischen Reich damit den Todesstoß versetzten. Zu dem Zeitpunkt kontrollierten allerdings die Osmanen auch fast das gesamte Ufer des Schwarzen Meeres, einschließlich der Krim. Doch spätestens ab dem 17. Jahrhundert wurde das Zarenreich immer stärker und das Osmanische Imperium immer schwächer. Zuerst verloren die Osmanen den Kaukasus, dann ihre nördlichen Balkanprovinzen. Über das heutige Rumänien und Bulgarien griff die zaristische Armee im 18. und 19. Jahrhundert mehrmals an, um die Meerengen zu erobern, in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts standen sie schon einmal knapp vor Istanbul.

Am Ende des Ersten Weltkrieges besetzten Briten und Franzosen Istanbul – die Russen waren nur deshalb nicht dabei, weil die Bolschewiken den Zaren schon zwei Jahre vorher entmachtet und mit den Osmanen und Deutschen einen Separatfrieden abgeschlossen hatten. Mit dem Sieg im türkischen Unabhängigkeitskrieg gewannen die Türken Istanbul und die Meerengen zurück, um anschließend im bereits genannten Vertrag von Montreux 1936 dann ein für alle Mal die Durchfahrtsregeln für die Meer­engen festzulegen. Dachte man. Denn schon am Ende des Zweiten Weltkrieges stellte Stalin die türkische Hoheit über die Meerengen erneut in Frage, was der Hauptgrund war, warum die Türkei bereits 1952 Mitglied der Nato wurde und sich damit gegen­ die Sowjetunion in das westliche Bündnis integrierte.

Erdoğans gemeinsame Sache mit Putin

Die Frage der Meerengen ist deshalb für die Türkei höchst heikel. Nach dem besagten ­Vertrag von Montreux haben alle Schwarzmeer-Anrainerstaaten auch in Kriegszeiten das Recht, mindestens ihre Kriegsschiffe durch die Meer­engen in ihre Heimathäfen zu holen. Die Türkei kann die Meerengen zwar sperren, muss aber russische Kriegsschiffe, die jetzt aus den Weltmeeren zurück ins Schwarze Meer wollen, passieren lassen. Darauf hat jüngst der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu noch einmal hingewiesen. Deshalb korrigierte das türkische Außenministerium am Sonntag auch einen Tweet des ukrainischen Präsidenten Selenski. Der hatte nach einem Telefonat mit Erdoğan, bei dem der türkische Präsident ihm seine volle Solidarität zugesichert hatte, getwittert, Erdoğan habe die Sperrung der Meerengen versprochen.

Wohl kein anderer Nato-Staat hat in den letzten Jahren so eng mit Putin zusammengearbeitet wie die Türkei

Zwar hat sich Erdoğan nach dem auch für die Türkei völlig überraschenden russischen Angriff auf die Ukraine mindestens verbal auf die Seite der Angegriffenen gestellt und alle mögliche Unterstützung zugesagt, doch die komplette Schließung der Meerengen auch für zurückkehrende russische Schiffe käme einer Kriegserklärung an Russland gleich. Schon eine eindeutige Parteinahme für die Ukraine auch jenseits der Meerengen-Frage kann Erdoğan sich eigentlich gar nicht leisten.

Wohl kein anderer Nato-Staat hat in den letzten Jahren so eng mit Putin zusammengearbeitet wie die Türkei. Nach dem Putschversuch 2016 hat Erdoğan das hochmoderne russische Raketenabwehrsystem S-400 gekauft, das Konkurrenzsystem zum amerikanischen Patriot-System. Er hat in Syrien mit Putin und dem Iran gemeinsam das Land aufgeteilt und die USA aus dem Friedenprozess herausgedrängt. Genauso hat er sich mit Putin im letzten Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan arrangiert, wo Russland und die Türkei als Schutzmächte der beiden Kriegsparteien auftraten.

Doch nicht nur außenpolitisch hat Erdoğan Putin hofiert, die Türkei ist auch von russischem Gas und Öl mindestens so abhängig wie Deutschland. Obendrein baut eine russische Staatsfirma an dem ersten Atommeiler in der Türkei. Nicht zuletzt sichern russische Touristen einen großen Teil der türkischen Deviseneinnahmen.

Ein möglicher Vermittler

Erdoğan muss deshalb sehr genau darauf achten, mit seiner Solidarität für die Ukrai­ne die roten Linien des Kreml nicht zu überschreiten. Schon als die Türkei lange vor Kriegsausbruch in der Ukraine ihre gefürchteten Kampfdrohnen Bayraktar 2 verkaufte, drohte Putin damit, das Stillhalteabkommen in Syrien aufzukündigen und Assad grünes Licht für einen neuen Angriff auf die unter türkischem Protektorat stehende Rebellenprovinz Idlib zu geben.

Schon sehr früh hat Erdoğan sich deshalb für eine Verhandlungslösung zwischen Russland und der Ukraine eingesetzt und seine Vermittlung angeboten. Auch jetzt hat er Selenski erneut versprochen, sich bei Putin für Verhandlungen einzusetzen. Gemeinsam mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew bietet er einen Ort und Rahmen für Gespräche zwischen der Ukraine und Russland an. Selenski hat dieses Angebot bereits als höchst willkommen begrüßt. Am Sonntagnachmittag erklärte die Ukraine sich bereit zu Verhandlungen mit Russland, allerdings an der Grenze zu Belarus. Kiew stimmte der Vermittlung durch den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zu.

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