Die Selbstauskunft beim Online-Dating: Wo endet eigentlich Vanilla-Sex?
Sich selbst sehr männlich lesende Personen machen in ihren „Profilen“ gerne mal klar, wo der Hammer hängt. Fehlt es denen oder mir an Fantasie?
Mit meiner Friseurin spreche ich ja über alles, nur über eins nicht: meine sexuellen Fantasien. Das liegt nicht daran, dass deren Umsetzung strafbewehrt wäre oder es selbst mir zu peinlich ist, sie laut auszusprechen. Ich glaube nicht, dass Jessi auch nur mit der Wimper zucken würde, wenn ich ihr verriete, dass ich von veganem Sex träume oder mir vorstelle, wie mir zwölf queere Leder-Schlümpfe beim Masturbieren zusehen, während ich die Neujahrsansprache von Olaf Scholz verfolge.
Nein, der Grund ist viel banaler: Ich habe keine. Jedenfalls keine, bei denen das Drehbuch mehr enthält als die handelnden Personen und den Ort des Geschehens. Manchmal denke ich nach, ob mir nicht noch etwas einfallen will, oder ob ich gar etwas verdränge. Schlümpfe, Leder, Scholz? Nur ein spontaner Einfall oder Hinweis auf Retrosex-Gelüste?
Vielleicht kann ich einfach nicht gut abstrahieren. Wenn meine Kinder mich fragen, was mein Lieblingsessen ist, bin ich ähnlich ratlos. Würden sie mich in dem Moment fragen, in dem wir beim Italiener vorbeigehen und ich den Geruch von Oregano auf zerlaufenem Mozzarella in die Nase bekäme, würde ich sehr wahrscheinlich „Pizza“ sagen. Stünde sie vor mir, wäre es die Buddha Bowl von Noras Deli im Bremer Viertel oder Lammkeule, weil Ostern ist und meine Mutter gekocht hat. Aber so völlig aus dem Zusammenhang gerissen fehlt es mir an kulinarischer oder sexueller Fantasie.
Auf die Idee, dass da noch mehr sein müsste, bin ich nach intensivem Studium von so genannten „Profilen“ auf Dating-Portalen gekommen. Ja, auch ich habe mich schon in der bunten Welt des Online-Datings herum getrieben, mit einigem Gewinn, und ich werde den Teufel tun und hier irgendetwas ausplaudern über die, die ich dort kennengelernt habe.
Dominant auf dem Sofa im Kolonialstil
Dazu sind wir dort alle viel zu nackt – im übertragenen Sinne, ich tindere nicht – und wer sich mit Menschen verabredet, die ihre Lebensmitte überschritten haben, muss sich darauf einstellen, dass auch die bereits einiges erlebt haben. Diese geballte Portion Schicksal ist und bleibt privat.
Es gibt dort aber sich selbst sehr männlich lesende Personen, die das Bedürfnis haben, in ihrer Selbstbeschreibung klar zu machen, wo der Hammer hängt und immer hängen bleiben wird. Das kann jede und jeder, die und der sich dort mit oder ohne Foto anmeldet, lesen, und daher halte ich es für vertretbar, das öffentlich zu machen.
Er sei „dominant im Bett“, schrieb einer, und wahrscheinlich ist er das auch auf dem Fußboden, dem Küchentisch oder dem Sofa im Kolonialstil. Das sei ihm wichtig mitzuteilen, damit er keine Erwartungen wecke, die er nicht halten kann. Er drückte das anders aus, aber ich kann den Wortlaut nicht nachschauen, aus Gründen. Immerhin fügte der Domino hinzu, dass „Vanilla“ auch mal okay sei.
Meiner Friseurin muss ich nicht erklären, dass das nichts mit Eiscreme zu tun hat, Jessi liest dasselbe Internet wie ich. „Blümchen-Sex“ sagte man früher, aber das klingt nach Rheumadecke und Langeweile und Vanilla mehr so nach Lifestyle, nach einer Entscheidung wie für eine Sportart oder ein Hobby.
Ich verstehe nur gar nicht genau, was das heißt. Gibt es dann entweder „dominant“ oder „Vanilla“? Wo beginnt das eine und hört das andere auf? Will der nie etwas anderes als das, was er kennt? So wie ich selten etwas anderes als Schokoladeneis bestelle und niemals Banane? Und hat das alles überhaupt etwas mit Fantasie zu tun – beziehungsweise: Was ist Fantasie? Mit F oder Ph? Und wenn Freud doch recht hatte mit seiner dämlichen Behauptung, nur der und die Unbefriedigte fantasiere – dann müsste ja auch ich Fantasien haben, weil ich tatsächlich nicht rund um die Uhr bekomme, was ich will.
Ich besorg’ mir mal die Neujahrsansprache. Irgendwer wird die schon auf VHS aufgenommen haben.
Leser*innenkommentare
4813 (Profil gelöscht)
Gast
Öh - sorry, selbst Kulturkerle sind so drauf:
„Für euch sind zwei Dinge // Von köstlichem Glanz: // Das leuchtende Gold // Und ein glänzender Schwanz. // Drum wißt euch, ihr Weiber, // Am Gold zu ergetzen // Um mehr als das Gold // Noch die Schwänze zu schätzen!“ — Johann Wolfgang von Goethe
Quelle: beruhmte-zitate.de...-kostlichem-glanz/
Ingo Bernable
@4813 (Profil gelöscht) "selbst Kulturkerle sind so drauf"
Unter dem Link lässt sich aber auch nachlesen, dass hier nicht Goethe als Person spricht, sondern er diese Worte dem Satan in der Walpurgisnacht in den Mund legt.
4813 (Profil gelöscht)
Gast
@Ingo Bernable Faust Teil 2 vom Teufel geschrieben?
Ingo Bernable
@4813 (Profil gelöscht) Wohl kaum. Aber es sollte doch eigentlich einsichtig sein, dass man einem Schriftsteller nicht die Positionen und Ansichten seiner Figuren zurechnen sollte, schon gar nicht dann wenn es sich um eindeutig negativ dargestellte Charaktere handelt. Es geht also nicht um die Frage ob Goethe diese Zeilen verfasst hat, sondern darum dass man aus ihnen eben nicht schließen kann, dass er selbst als "Kulturkerl" so drauf war. Man würde ja auch Alfred Hitchcock nicht für die Worte und Taten von Norman Bates verantwortlich machen.
Andi S
Schön sich darüber auszulassen, dass jemand seine sexuellen Vorlieben artikuliert. Hut ab!
LeSti
@Andi S Andi S kapiert nicht, dass die Autorin hier vor allem Selbstreflektion übt. Vielleicht hilft mehr Selbstreflektion?
Harri Gebeine
@Andi S Für mich ist "auszulassen" hier der falsche Begriff.
In meinen Augen wurde das Thema sehr subtil umschrieben.
Die, aus Onlinedatingportalen erwähnte Person, wurde nicht angeprangert für sein Profil, ganz im Gegenteil fragt sich die Journalistin hier ob Sie nicht diejenige sei der es an Fantasie mangelt.
Breitmaulfrosch
@Andi S Jetzt erzählen Männer schon mal von ihren Gefühlen und dann so was ... (;-
Kolyma
@Breitmaulfrosch Der Mann erzählt ja nicht von seinen Gefühlen sondern davon, wie es bei ihm im Bett abzulaufen hat.
rero
@Kolyma Ein Orgasmus ist demnach eine rein rationale Veranstaltung?