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„Die Schattenjäger“ von Jonathan MilletDie eigenen Narben als Beweis

Im Drama „Die Schattenjäger“ von Jonathan Millet spürt ein Untergrundnetzwerk aus ehemaligen syrischen Gefangenen Schergen des Assad-Regimes auf.

Hamid (Adam Bessa) und Nina (Julia Franz Richter) in „Die Schattenjäger“ Foto: Immergutefilme

Jonathan Millets Film „Die Schattenjäger“ handelt von der Suche nach einem Phantom. Von einem, der sich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hat. Protagonist Hamid (Adam Bessa) war einem Folterer im berüchtigten Gefängnis Saidnaya ausgeliefert. Nach dem Fall des Assad-Regimes waren die realen Bilder von Gräueln in Saidnaya, begangen an Oppositionellen, die das Regime mitunter selbst dokumentierte, um die Welt gegangen. Wie internationalen Recherchen zeigen, handelte es sich bei Saidnaya buchstäblich um ein Vernichtungslager des Regimes.

Im Debütfilm des Regisseurs Millet sucht die Hauptfigur Hamid nach Gerechtigkeit und Vergeltung für sein im Militärgefängnis erfahrenes Unrecht. In der ersten Szene des Films sehen die Zuschauer ihn gestrandet in einer Wüste Syriens, wo Soldaten ihn und Mitgefangene aussetzen. Hamid gelangt schließlich nach Frankreich, wo der einstige Literaturprofessor nun auf einer Straßburger Baustelle arbeitet.

Hamid kennt nur ein Ziel. Sein eingefallenes Gesicht ist von der Obsession gezeichnet. Er will unter anderen Geflüchteten Angehörige des syrischen Regimes ausmachen, um sie – nach Möglichkeit – den europäischen Behörden zu überführen. Besonders einen Verbrecher will Hamid zur Strecke bringen – seinen einstigen Folterer, der unter dem Tarnnamen „Der Chemiker“ operierte.

Der Politthriller „Die Schattenjäger“ zeigt von seinen ersten Minuten an die hohe filmische Kunst bildhafter Aussparung, das Grauen, die Abgründe, das schier Unaussprechliche, das dem Protagonisten widerfahren sein muss, expliziert Jonathan Millets Spielfilmarbeit häufig in suspenshaltiger Annäherung – visuell und auch sprachlich –, die das Konkrete nur erahnen lassen.

Der Politthriller zeigt von seinen ersten Minuten an die hohe filmische Kunst bildhafter Aussparung, das Grauen, die Abgründe, das schier Unaussprechliche

Bei der Einwanderungsbehörde etwa verlangt ein Beamter Beweise für Hamids Verfolgung in Syrien. Der Geflüchtete beginnt darauf, sich seines T-Shirts zu entledigen – seine Narben, entstanden durch chemische Verbrennungen, sehen wir Zuschauer dabei nicht. Anhand von Tonbandaufnahmen anderer Gefangener, die Hamid im Auftrag der geheimen „Yaqaza“-Zelle abhört und auswertet, erfahren wir aber von den schrecklichen Methoden, die auch Hamid versehrten. Yaqaza ist ein Untergrundnetzwerk, das von ehemaligen Gefangenen und Ak­ti­vis­t:in­nen organisiert wird, um die Schergen des Assad-Regimes in Deutschland und Frankreich aufzuspüren.

Der Debutfilm beruht auf einer wahre Geschichte

„Die Schattenjäger“ basiert auf wahren Geschichten syrischer Geflüchteter. Hintergrund des Films ist auch ein Gerichtsprozess in Deutschland, bei dem im Jahr 2020 erstmals ein Fall von syrischer Staatsfolter vor dem Oberlandesgericht Koblenz verhandelt wurde. Ein angeklagter Oberst wurde bei diesem Verfahren zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt – ein richtungsweisendes Urteil im Hinblick auf die internationale Anerkennung der Verbrechen des Assad-Regimes. Die mutige Mitwirkung Geflüchteter bei der Strafermittlung hatte den Koblenzer Prozess überhaupt erst möglich gemacht.

In „Die Schattenjäger“ verhilft Regisseur Millet dergestalt Mitwirkenden zu einer künstlerisch-öffentlichen Würdigung. Sein elegantes, an dokumentarfilmischer Sorgfalt orientiertes Drama verweigert große filmische Gesten, auch gibt es keinen auf Schauwerte hin orientierten Racheimpulsen nach, die im Kino allzu häufig durchdekliniert werden. Mittels zurückhaltender Stilisierung und feiner erzählerischer Einkreisbewegungen kommen wir Zuschauer an der Seite des traumatisierten Protagonisten Hamid dem möglichen Serientäter des Regimes näher und näher.

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Trailer Schattenjäger

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Hamid und der Rest der Yaqaza-Gruppe pflegen sich im Voice-Chat eines militaristischen Videogames über ihr weiteres Vorgehen auszutauschen. Körperliche Gestalt nimmt dabei nur eine Co-Ermittlerin Hamids an, gespielt von Julia Franz Richter. Ob es sich bei dem von Taw­feek Barhom gespielten Verdächtigen tatsächlich um den berüchtigten Folterknecht von Saidnaya handelt, ist das zentrale Rätsel des Films in Gestalt eines hochspannenden Paranoia-Thrillers.

Der Film hat mit dem Sturz des Assad-Regimes seine Dringlichkeit nicht verloren

Eine systematische, gezielte Observation des Beschuldigten soll die Wahrheit ans Licht bringen. Nicht einfach, denn alles, was Hamid gegen den Mann als Beweis in der Hand hat, ist eine unscharfe Fotografie, welche die Gestalt des Täters zeigen soll, und – unauslöschlich eingebrannt ins Nervensystem Hamdis –, der Körpergeruch des Folterers, den das Opfer während seiner Torturen nie zu Gesicht bekam, da Gefangenen stets die Augen verbunden wurden.

Das Drama „Die Schattenjäger“, das um die Sujets Rache und Vergebung, Gerechtigkeit und Selbstjustiz kreist, hat mit dem Fall des Assad-Regimes im vergangenen Jahr an Dringlichkeit nichts verloren. Die aktuellen Vorgänge ethnischer Gewalt in den Regionen Latakia, Tartus und Hama, bei denen es zu ethnischer Gewalt und Massakern durch die neuen islamistischen Herrscher Syriens kam, zeigen, dass die syrische Tragödie auch in naher Zukunft unser Weltgeschehen prägen wird.

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