: Die SPD und ihre Arbeiterwähler
Die SPD und die Arbeiter – ein Kapitel, das sich dem Ende zuneigt? Driften frustrierte Arbeitnehmer, die sich in der Cohiba-SPD nicht wiederfinden, nach rechts? Oder kann die SPD auch bei den nächsten Wahlen mit ihrer bislang treuesten Wählerschaft rechnen?
Die letzten Landtagswahlen sprechen klare Worte: Bei den 99er-Wahlen erlitt die SPD dramatische Verluste. In Brandenburg ist seit der letzten Wahl die absolute Mehrheit dahin – die Sozialdemokraten verloren rund 15 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die rechtsradikale DVU hingegen schaffte mit 6 Prozent den Einzug ins Parlament.
Tatsächlich legte die DVU genau dort am dicksten zu, wo die meisten Arbeitsplätze weggefallen waren. In den DVU-Hochburgen wie in Wolfen und Bitterfeld und auch im Chemiedreieck Buna/Leuna/Halle ist von den einstigen Industrien nicht viel übrig geblieben. Insgesamt sind in Sachsen-Anhalt seit 1994 über 75.000 Stellen verloren gegangen. Damit betrug die Arbeitslosenquote bereits 1998 über 22 Prozent.
Auch im Saarland und in Thüringen mussten die Sozialdemokraten 1999 bei den letzten Wahlen schwere Verluste einstecken. Der SPD gelang es nicht mehr, ihre potenziellen Wähler zu mobilisieren. Katatstrophal wirkte sich dabei die geringe Wahlbeteiligung aus: Im Saarland sank sie von über 80 auf unter 70 Prozent, in Thüringen blieben gar 15 Prozent mehr Wähler daheim als bei der letzten Wahl – die Beteiligung lag damit bei 60 Prozent.
Dramatisch verloren die Sozialdemokraten bei den jüngeren Wählern und bei den Arbeitern: Bei den unter Dreißigjährigen betrug der Verlust der SPD im Saarland 13 und in Brandenburg 25 Prozentpunkte. Profitiert von den Verlusten haben vor allem zwei: die Fraktion der Wahlboykotteure und natürlich rechtsextreme Parteien wie DVU und NPD.
Bei der 98er-Wahl in Sachsen-Anhalt legte die rechtsradikale DVU des Münchner Verlegers Gerhard Frey einen Senkrechtstart hin: Auf einen Schlag erzielte sie 12 Prozent der Stimmen. Aufschlussreich ist hierbei eine Aufsplitterung nach Altersgruppen: Ganze 27 Prozent der unter Dreißigjährigen votierten für den braunen Rand.
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer vom Bielefelder „Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung“ hat Anfang dieses Jahres eine alarmierende Bestandsaufnahme vorgelegt: Nicht nur bei den Deutschen, auch bei der größten Minderheit, den Türken, steigt die Bereitschaft, Sündenböcke für soziale Probleme zu suchen. So erhalten rechte Parteien mehr und mehr Zulauf. Von der Politik erwarten sich derart frustrierte Menschen immer weniger: Im Duisburger Stadtteil Marxloh beispielsweise betrug die Wahlbeteiligung bei den letzten Kommunalwahlen gerade 30 Prozent. Und dabei ist wegen der hohgen Ausländerquote sowieso nur die Hälfte der ansässigen Bevölkerung wahlberechtigt. Allzu optimistisch, dass die Politik reagieren wird, ist man in Bielefeld nicht . . .
„Die SPD definierte sich vor zwanzig Jahren eher ex negativo“, sagt Arthur Fischer, Koautor der Shell-Jugendstudie. Die Grünen waren ihr zu spontihaft, die CDU war ihr zu bürgerlich. Da sich die Arbeitslosigkeit aber verschärft und die Grünen weiterhin als wirtschaftlich inkompetent gelten, habe die klassische SPD-Wählerschaft ihre Mittelstellung zwischen Grün und Schwarz etwas nach rechts korrigiert. Zumal die CDU trotz der „Fleisch gewordenen Vergangenheit“ namens Kohl es geschafft habe, Modernität zu verkörpern. Einige Jugendliche seien daher zur CDU abgewandert. Dass Jugendliche direkt von der SPD ins braune Lager wechseln, hält Fischer allerdings für unwahrscheinlich.
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