Die Rückkehr des Mittelstürmers: Das Comeback der Kantigen
Es braucht robuste Spieler wie Romelu Lukaku im Angriff, die nicht unbedingt Tore schießen, aber diese anderen ermöglichen.
Zehn Jahre ist es her, als sich einem großen Publikum der Fußball der Zukunft zeigte. Diese Revolution ging – heute schwer zu glauben – von Russland aus. Im Achtelfinale der EM 2008 spielte das nachsowjetische Team, gecoacht vom Niederländer Guus Hiddink, ein astreines 5-5-0-System.
Andrej Arschawin, Roman Pawljutschenko und die anderen rannten die bedauernswerten Niederländer in Grund und Boden; die Laufwege der Außen schnitten fortwährend diagonal durch die Viererkette des Gegners, bis diese tiefe Risse bekam; und gerannt sind sie, als hätte sich der Leibhaftige an ihre Fersen geheftet.
Die Abschaffung des Mittelstürmers schien nur noch eine Frage der Zeit. Das System der Zukunft würde ein 4-6-0 werden, der Fußball der Zukunft käme ohne Stürmer aus. Von diesen Voraussagen ist geblieben: der durch sie hindurchging, der Wind. Heuer lief Russland immer noch sehr, sehr viel. Aber vorne drin stand Artjom Dsjuba, ackerte und rackerte und rannte und brannte und drückte und pflückte die Bälle aus der Luft. Schön war das nicht immer, aber leidenschaftlich.
Diese WM hat das Comeback des dreckigen Stürmers gesehen, der dahin geht, wo es wehtut, am liebsten dem Gegner. Jeder der Halbfinalisten hat ein solches Kampfschwein in der Truppe, und oft standen sie auch im Mittelpunkt; Romelu Lukaku hat schon vier Tore gemacht, Harry Kane sogar sechs, Mario Mandžukić im Achtelfinale die wichtige Führung gegen Dänemark.
Olivier Giroud hingegen hat noch kein Tor gemacht. Tore gelten altbackenen Reportern für Stürmer noch immer als Münze. Er selbst wies öfters darauf hin, dass er drei mehr oder weniger direkte Torbeteiligungen hatte, als wäre das das Entscheidende. Das ist es nicht: Giroud bindet die Innenverteidiger, damit jene, die besser Fußball spielen als er, etwas Raum haben. Er ist ein Ermöglicher, der unspektakuläre Pinsel, den die Farbe braucht.
Stürmertypen, die fehlen
Das ist eine undankbare Aufgabe, weil sie nicht sehr telegen ist; man sieht ihn kaum. Was ihn auszeichnet, ist, dass sich neben ihm die anderen in Szene setzen können; das lässt ihn schwächer erscheinen. Entsprechend ist er in Frankreich kritisiert worden, zu Unrecht, wie Trainer Didier Deschamps klarstellt. „Man sieht, was er bringt, vor allem dann, wenn er nicht spielt“, sagte er.
Das zähe Spiel gegen Australien gibt ihm Recht; Giroud saß 70 Minuten auf der Bank, und Frankreichs Kreative Antoine Griezmann, Ousmane Dembélé und Kylian Mbappé hatten große Probleme, in die Räume zu kommen. Sie standen sich auf den Füßen; es war, als bräuchten sie einen Orientierungspunkt. Im zweiten Spiel brachte Deschamps dann Giroud als Zaunpfahl, es lief besser, und gegen Argentinien und Uruguay hat er dann sagenhaft intensive Spiele abgeliefert.
Es gibt natürlich einen qualitativen Unterschied zwischen Lukaku und Kane einerseits und Mandžukić und Giroud andererseits. Erstere sind die begnadeteren Spieler, sie sind auf eine Rolle nicht festgelegt. Aber sie können diese Rolle – den Vierer im Sturm zu geben – ausfüllen, wenn nötig. Deutschland hat ein solcher Spieler gefehlt; Sandro Wagner hätte die Rolle der Genannten übernehmen können.
Es gibt diese Stürmertypen auch im Nachwuchs nicht, das ist die schlechte Nachricht für den DFB. Die gute ist: Moden vergehen. Was vor zehn Jahren als taktischer Weisheit letzter Fingerzeig galt, ist heute schon vergessen.
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