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Die Rentenrebellen und der KanzlerGeschichte einer Entfremdung

Friedrich Merz und die Junge Union – das war mal ein gutes Gespann. Doch dann holten Regierungsrealität und Rente sie ein.

Kanzler Merz und Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union, beim Deutschlandtag im Europark Rust Mitte November Foto: Chris Emil Janssen/imago
Sabine am Orde

Aus Berlin

Sabine am Orde

Am Dienstagnachmittag spricht Friedrich Merz in der Fraktionssitzung von CDU und CSU, die Stimmung ist angespannt. Es ist unklar, ob die Mehrheit für das Rentenpaket der Bundesregierung steht oder ob es hier, in diesem Saal, weiter zu viele Ab­weich­le­r*in­nen gibt. Wobei, es geht längst um mehr als die Rente. Es geht um die Zukunft der Koalition. Und die Autorität des Kanzlers. Vielleicht ist es dieser Augenblick, der den jungen Abgeordneten der Union am Ende in Erinnerung bleiben wird. Noch mehr als der Auftritt des Kanzlers auf dem Deutschlandtag und ihre frostige Reaktion, die über alle Kanäle liefen.

Die 18 jungen Abgeordneten von der CDU und CSU, die sich in der Jungen Gruppe (JG) zusammengefunden haben, haben sich klar gegen das Paket gestellt, viele andere in der Fraktion sympathisieren mit der Kritik. Weil die schwarz-rote Koalition aber nur eine Mehrheit von 12 Stimmen hat, ist das ein Problem. Seit Tagen nimmt sich Fraktionschef Jens Spahn die jungen Abgeordneten in Einzelgesprächen vor, am Ende der Fraktionssitzung soll es eine Probeabstimmung geben.

Dann spricht Merz. Er könnte jetzt um Vertrauen werben, ein bisschen tut er das auch, ist später zu hören. Aber irgendwann sagt er diesen Satz: „Ich sehe, wer klatscht und wer nicht.“ Hart, beinahe brutal sei das gewesen, berichten nachher einige Abgeordnete. Für manche aus der JG klingt es wie eine Drohung.

Friederich Merz und die Junge Union, die waren einst ein enges Gespann. Dreimal hat Merz versucht, CDU-Chef zu werden, dreimal war die JU an seiner Seite. Merz stand für die jungen Konservativen für alles, was sie an Angela Merkel vermissten: für schneidige Auftritte und klare Kante, für einen harten Kurs in der Migrationsfrage und mehr konservatives Profil. Die JU, mehrheitlich waren das Merz-Ultras, immer schon.

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Verhältnis ist tief erschüttert

In der Berliner JU-Zentrale in der Nähe vom Potsdamer Platz hängt ein riesiges Foto im großen Besprechungsraum. Es zeigt Merz auf dem Deutschlandtag 2024, umringt vom JU-Vorstand, alle lachen freudig in die Kamera, auch JU-Chef Johannes Winkel und Pascal Reddig sind dabei, die jetzt plötzlich als Rebellen gelten. Bei einem Besuch in diesen Tagen fragt man sich, ob das Foto wohl bald abgehängt wird. Gut ein halbes Jahr nachdem Merz zum Kanzler gewählt wurde, ist das Verhältnis zu einer seiner wichtigsten Unterstützergruppen tief erschüttert.

Im Wahlkampf hat Merz den Eindruck erweckt, wenn er ins Kanzleramt einzieht, würde allein deshalb alles besser werden. Er: ein Macher. Die politische Konkurrenz: Versager, allesamt. In der JU haben das viele geglaubt. Oder sich zumindest diesem Rausch der Selbstgewissheit bereitwillig hingegeben. Am Ende waren da riesige Erwartungen. Und dann ist die Enttäuschung gewöhnlich nicht weit.

Bei der Bundestagswahl blieb die Union deutlich hinter dem Erhofften zurück, „CDU pur“ war passé. Stattdessen: Koalitionsverhandlungen mit der ungeliebten SPD – und die Lockerung der Schuldenbremse, die Merz im Wahlkampf noch verteidigt hatte. Die JU­le­r*in­nen, die fleißig mit kalten Fingern Plakate aufgehängt und in den sozialen Netzwerken Merz’ Fanpost verbreitet hatten, aber hatten daran geglaubt. Viele von ihnen haben mit dem Thema Generationengerechtigkeit Wahlkampf gemacht, mit der schwarzen Null und mit Rentenpolitik. Und jetzt das. Plötzlich war da ein Riss zwischen der JU und dem Kanzler.

Winkel, der JU-Chef, und Reddig, der inzwischen JG-Vorsitzender ist, sind beide neu im Bundestag. Zum Team „Kanzlerwahlverein“ gehören sie nicht, das merkt man schnell, wenn man mit ihnen spricht. Beide sind angetreten, um etwas für ihre Generation zu verändern. Nicht irgendwann, sondern jetzt. In das komplizierte Thema Rente haben sie sich eingegraben. Und im Rentenpaket von SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas eine Formulierung entdeckt, die sie für problematisch halten. Im Kanzleramt und in der Fraktionsführung versteht man zu diesem Zeitpunkt nicht, wie viel Konfliktpotenzial darin steckt.

Die jungen Abgeordneten setzten auf Veränderungen

Es gehe ihnen nicht, das beteuern die Jungen, um die Haltelinie, also das Festschreiben des Rentenniveaus bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens bis 2031. Darauf hatten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag verständigt. Es gehe um einen Satz in Bas’ Gesetzentwurf, der ihrer Ansicht nach über den Koalitionsvertrag hinausgeht und bis 2040 120 Milliarden Euro zusätzlich kosten könnte.

Noch vor der Sommerpause ziehen sie gegen diesen Satz zu Felde, machen die Fraktionsführung aufmerksam, sprechen das Thema im CDU-Bundesvorstand an. Konsequenzen? Keine. Anfang August geht Bas’ Entwurf einstimmig durch das Kabinett. Die jungen Abgeordneten setzen jetzt auf Veränderungen während des Verfahrens im Bundestag. Immer wieder bringen sie ihre Kritik vor, doch das scheint niemanden zu kümmern.

„Das Rentenpaket ist aus Sicht der Jungen Gruppe nicht zustimmungsfähig“, heißt es in einem Papier, über das Mitte Oktober zuerst der Spiegel berichtet. Erst jetzt wird der Unionsspitze offenbar klar, wie ernst es die jungen Abgeordneten meinen. Und dass 18 Stimmen auf dem Spiel stehen, die gebraucht werden. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Merz und Spahn, der die Mehrheit eigentlich organisieren muss, ihre Karrieren zum großen Teil selbst auf innerparteilichem Widerstand aufgebaut haben.

Unter Merkel hätten die jungen Abgeordneten jetzt Anrufe bekommen, erst vom Geschäftsführer der Fraktion, dann von deren Vorsitzenden, am Ende vielleicht aus dem Kanzleramt. Die Ansprache und der Druck wären stetig gestiegen. Aber jetzt: Der Geschäftsführer und der Vorsitzende der Fraktion lassen Sympathie für die Kritik durchblicken. Man habe mit der SPD eine Verabredung bis 2031, aber nicht darüber hinaus, sagt Merz Ende Oktober sogar öffentlich. Und: „Genau darüber werden wir mit der SPD reden.“ Die jungen Abgeordneten glauben: Merz kämpft in ihrem Team. Das macht alles noch schlimmer.

Dann folgt Alarmstufe rot

Als Bild knapp zwei Wochen später online titelt „Merz lässt für Bas die Renten-Rebellen fallen“, fühlt sich die JG verraten. Eine Woche vor ihrem Deutschlandtag, auf dem Merz als Redner geladen ist – und wo er bisher stets frenetisch bejubelt wurde. Jetzt dagegen: Alarmstufe rot.

Der Kanzler könnte nun im Vorgespräch mit dem JU-Chef klärende Worte wechseln, um Verständnis werben – aber er redet lieber mit den Betreibern des Freizeitparks Rust, in dem die Veranstaltung stattfindet. Dann fordert er in der Aussprache von der JU Konstruktivität und wirft den Delegierten einen „Unterbietungswettbewerb“ bei der Rente vor. Am Ende ist dröhnendes Schweigen. Es folgen ein Koalitionsausschuss mit der Zusage, dass Bas’ Gesetzentwurf „auf Wunsch der SPD“ unverändert vom Bundestag verabschiedet werden soll.

Der JG trägt man erst einen ergänzenden Entschließungsantrag mit lauter Prüfaufträgen für die Rentenkommission an, manche davon durchaus in ihrem Sinne. Später kassiert man ihn wieder, weil der mächtigen Mittelstandsvereinigung der Union andere Aufträge nicht gefallen. Noch nicht einmal bei unverbindlichen Versprechungen stehe ihre Spitze, so dürften das manche der jungen Abgeordneten empfunden haben.

Aus dem Riss zwischen Bundeskanzler und dem Parteinachwuchs ist längst ein tiefer Spalt geworden, der bleibt. Auch wenn die von Merz faktisch eingeforderte Kanzlermehrheit für das Rentenpaket am Freitag bei der Abstimmung im Bundestag erreicht wurde.

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