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Boom der Kinderprogramme in MuseenDie Performance zum Mitmachen beginnt erst später

Kinder sind die neueste Zielgruppe von Kunstinstitutionen, Angebote für sie in Museen boomen. Klappt das auch? Beobachtungen aus Hannover und Berlin.

Kommen so auch Kunst und Kinder zusammen? Lygia Clarks „Cabeça Coletiva“ von 1969 kann aufgesetzt und getragen werden (Ausschnitt) Foto: David von Becker/Neue Nationalgalerie – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, 2025

Wer bist du? Name: Toni. Alter: sieben, fast acht. Mit wem bist du heute hier? Mama, Leo und Jonathan. Gibt es ein Material, das du gerne fühlst? Hast du heute eher gute oder schlechte Laune? „Laaaang­weilig! Langweilig!“ Toni wirft das knallgelbe Kinderprogrammheft, aus dem sie gerade diese ChatGPT-Fragen vorgelesen bekommen hat, auf den Boden. Das Heft bleibt aufgeschlagen vor einem abstrakten Gemälde liegen: Welche Gefühle wecken die Farben des Bildes in dir? Toni rennt weg.

Wir sind in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, besuchen die Retrospektive der brasilianischen Künstlerin Lygia Clark (1920–1988). Ich will wissen, wie das so läuft mit Kindern und dem Kunstmuseum. Toni ist mein Guide. Warum ich mir diese Frage stelle? Weil Kinderangebote in Museen boomen, Kinder die neueste Zielgruppe von Kunstinstitutionen sind. Seit wenigen Tagen etwa bespielt auch das Haus der Kunst in München seine monumentale NS-Architektur mit einer Schau allein zum Thema Kindheit.

Hinter dem Kinder-Trend muss ein größerer Wunsch stecken: Museen sollen inklusiver, diverser und nachhaltiger werden. Große Häuser, wie das Museum Ludwig in Köln oder die Berlinische Galerie, haben unlängst eigene Stellen dafür eingerichtet. Das International Council of Museums (ICOM) definiert Inklusion seit 2022 als eines der Kernziele von Museumsarbeit. Sogar die Messe Art Basel will ihre kommerziellen Megashows zu „einem integrativen Erlebnis“ für Kinder machen. Aber kommen Kinder dadurch wirklich zur Kunst? Und wie steht es um den Inklusionswunsch der Museen, wenn die Kulturpolitik kein Geld mehr gibt?

Das kunstpädagogische Gewissen

Zurück in der Neuen Nationalgalerie: Lygia Clarks konkrete Malereien und taktile, geometrische Plastiken hat Toni zielstrebig links liegen gelassen. Sie sitzt jetzt im Activity-Room am Ende der Ausstellung. Hier soll gebastelt, an Masken gerochen und so das partizipativ-performative Element in Clarks Kunst mit „allen Sinnen“ erfahren werden. Allerdings nach Anleitung. Ob auf Wandbannern oder im gelben Kinderheftchen, das kunstpädagogische Gewissen appelliert: „Hier bist du gefragt! Dies ist ein Kunstwerk zum Mitmachen.“

Toni will aber kein Möbiusband basteln, wie vorgegeben. Sie schnippelt wild an den ausgelegten Papierrollen herum, klebt Streifen zusammen, bis sie ein gut zehn Meter langes Papierband ergeben, mit dem Toni Ausstellungsbesucher, die Podeste mit Clarks Plastiken und ein paar schamvoll staunende Kinder umrundet. Andere Eltern machen begeistert Fotos davon, ein junger Mann kopiert Tonis Einfall. Der Aufseher lächelt müde und weist darauf hin, dass die offizielle Mitmachperformance erst um 12 Uhr anfange.

Das Verhalten der Erwachsenen verrät, was die eigentliche Wirkung des Mitmachprogramms ist: gezwungen spielerische Infantilisierung. Eltern erkennen das Kind in sich, nicht das Kind sich selbst in der Kunst. Ausschließlich Erwachsene probieren sich an Clarks faltbaren Metallplastiken aus, von den Kindern bleiben sie so unbemerkt wie ein Bücherregal im Disneyland. Zu sehr checken Toni und die anderen Kinder, dass ihr Kinderspielbereich klar abgesteckt ist. Sie sollen zwar mitmachen, aber nicht so, wie sie das selbst spontan wollen. Das Vermittlungsprogramm vermittelt starr – entfremdet von Kunst und Kindern.

Ist das die Inklusion, die die Museumsmacher wollen? Nach einem Blick ins Impressum des Begleithefts frage ich mich vielmehr, was die Neue Nationalgalerie, eines der wichtigsten Kunstmuseen des Landes, überhaupt mit ihrem Kinderprogramm will? Konzipiert und entwickelt hat es eine Praktikantin, die dort gerade ihr Freiwilligenjahr macht. Einen Vorwurf kann man chronisch unterbezahlten Praktikantinnen nicht machen – der verantwortlichen Stiftung Preußischer Kulturbesitz aber schon: Sind euch Kinder nicht mehr wert?

Kritische Museumstheorie und Interessensverbände

Spätestens mit Ex-Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte sich ja politisch durchgesetzt, was kritische Museumstheorien und Interessenverbände wie die ICOM schon lange gefordert hatten: Museen sollten gesellschaftliche Teilhabe fördern, ihre eigenen Machtstrukturen hinterfragen, Inklusionsapparate sein.

Vonseiten der Kulturpolitik gab es basale Gründe für diesen Inklusionswunsch. Die Coronapandemie hatte den Museen ihre Besucher geklaut. Und überhaupt, wer würde in Zukunft noch ins Museum gehen? Die Kinder! Also führte Claudia Roth den Kulturpass ein und versuchte so ihre neue Zielgruppe ins Museum zu steuern – seit letzter Woche aber ist der Kulturpass Geschichte. In Berlin sah das anders aus. Dort hatte der Senat bereits 2012 den Kinder-Kultur-Monat ins Leben gerufen, 2021 komplementierte dann der kostenlose Museumssonntag das Angebot. Und jetzt?

Kürzungen! Vom neuen BKM-Chef Wolfram Weimer hört man das salbende Wort „Inklusion“ nur noch selten. Und selbst wenn die Museen weiter inklusiv sein wollen, fehlt jetzt das Geld dafür. Eingestampft wurde in Berlin erst der Museumssonntag, dann die Grundfinanzierung des Kinder-Kultur-Monats. Der freien Kinder- und Jugendarbeit wurden 2,3 Millionen gestrichen. Auf Bundesebene verloren der Soziokulturfonds 2,4 und das Familienministerium gleich 900 Millionen. Das heißt, auch für die Freiwilligen, die in der Neuen Nationalgalerie das Kinderprogramm gestalten, gibt es weniger Geld. Was also sollen die Kinderprogramme in Kunstmuseen eigentlich sein? Feigenblätter mit Farbklecksen? Verschlimmbessernde Kompensation? Oder die Spießer-Illusion, durch Kunsterziehung Demokratie zu retten?

Im Kunstverein Hannover versuchte es der britische Aktionskünstler Jeremy Deller kürzlich mit einem anderen Ansatz. Dafür kuratierte er die Show „Eine Ausstellung für Kinder (und andere Leute)“. Im Interview mit dem Kunstmagazin Monopol sagt er dazu: „Ich denke, dass Kinder von Natur aus ein gutes Kunst-Publikum sind.“ Kinder seien besonders von Konzeptkunst fasziniert, so Deller, „weil es darin um Chaos und Fehlverhalten geht.“ Nicht pädagogische Vermittlung bräuchten Kinder im Museum, sondern Freiraum, um ihren eigenen Zugang zu finden. Deller suchte nach der konventionsbrechenden Kraft, die Kinder und Kunst verbinden kann.

Jeremy Dellers Schnitzeljagd in Hannover

Durch den Kunstverein Hannover führt mich Uma, sie ist acht Jahre alt. Auch dieser Museumsrundgang wirkt erst mal wie Mitmachschule. Jeremy Deller hatte sich eine Art Schnitzeljagd überlegt. Verschiedene Aufgaben navigieren durch die Ausstellung: In David Shrigleys Installation beispielsweise soll Uma Selbstporträts zeichnen, in Roman Ondaks Performance „Measuring the Universe“ wird an einer Wand ihre Körpergröße notiert, und Temitayo Ogunbiyis Kratzbaumplastiken muss sie kletternd erklimmen.

Anfangs fremdelt Uma mit den heilighohen Museumshallen. Mit jeder Aufgabe wird sie aber lockerer, interagiert mit den Kunstwerken, beurteilt sie kritisch. Geht Jeremy Dellers Idee auf? Ja, die Kinder können sich nämlich selbst in die Kunstwerke einschreiben. Ihre Mitmachspuren werden zu Artefakten. Ohne die Striche an der Wand, die Umas Körpergröße und die anderer Kinder markiert, wäre zum Beispiel das von Roman Ondak vermessene „Universe“ nur eines der Erwachsenen. Das Kunstwerk wäre unvollständig, ohne visuelle Spannung. Gleichzeitig machen solche Artefakte in der Ausstellungsarchitektur das Museum auch zu Umas Ort, zum Ort für Kinder.

Und was sagt die Kritikerin? „Die Ausstellung hier ist schöner als andere, weil sie echt für Kinder ist.“ Nachdem der Activity-Parcours sie müde gemacht hat, lässt Uma sich auf einen Sitzsack fallen, wie hypnotisiert verschwindet sie in der Videokunst von Fischli & Weiss oder Francis Alÿs.

Auch in Berlin stellt sich dieser Effekt ein – ganz ohne Appell. Wir haben das Kinderprogramm zu Lygia Clark gerade verlassen, da stürmt Toni in die Sammlungsschau. Sie hat etwas entdeckt. Vor Pipilotti Rists legendärem Video „Ever Is Over All“, in dem die Künstlerin euphorisch die Autoscheiben parkender Autos zerschlägt, lässt nun Toni sich auf einen Sitzsack fallen. Ihr Urteil? „Ich würde das Auto ja ganz zerhauen, aber erst mal will ich zu Hause alles anmalen.“ Was Kinder und Kunst wirklich verbindet? Der Wunsch nach Freiräumen – trotz oder gerade wegen einer marodierenden Kulturpolitik.

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