Die „Münchner Geschichten“ zum 50.: Ois anders
Vor einem halben Jahrhundert liefen zum ersten Mal Helmut Dietls „Münchner Geschichten“ im Fernsehen. Ein neues Genre war geboren.
„Schee war’s.“ – „Schee war’s scho.“ – „So schee war’s überhaupt no nia.“ – „So is des im Lebn. Zuerst is schee, und dann is auf oamoi ois vorbei.“ – „Genau.“ Es sind diese Dialoge, die gar nicht anders können als im Gedächtnis haften zu bleiben, zumindest dem gemeinen Münchner, und wenn’s denn sein muss, können wir es auch noch näher eingrenzen, sagen wir also: dem irgendwann nach dem Krieg und vor dem Mauerfall geborenen Münchner.
Es sind Dialoge, die aus den „Münchner Geschichten“ stammen und die die „Münchner Geschichten“ erst zu den „Münchner Geschichten“ machen, ihnen diese ganz besondere Handschrift geben; es ist die Handschrift Helmut Dietls, die ein Lebensgefühl transportiert, an das sich noch heute Münchnerinnen und Münchner zu erinnern vermeinen – ganz gleich, ob sie es tatsächlich je erlebt haben. Aber was spielt schon für eine Rolle, was wirklich war und was sich nur im Kopf abspielte? Hauptsache ist doch, dass es schee war.
Oder dieser kleine Wortwechsel, in dem der Herr Eder, der ewige Querulant aus dem Haus, in dem auch die Oma Häusler lebt, einem Polizisten erklärt, dass er ihn nicht anzufassen habe: „Oglangt ham S’mi, des derfn Sie gar net. Da kenn i mi aus. Sie ham mi überhaupt nicht zum Berühren.“ Ein Vorwurf, den der Polizeibeamte so nicht stehen lassen will: „Erstens mal hob i Sie net berührt, und oglangt hob i Sie scho zwoamoi net, gell? Und das ist eine Behauptung, was Sie da feststellen.“
Man könnte gerade so weitermachen, mit Zitaten um sich werfen – so, wie man das in München noch heute gerne tut: Dann ist halt, logisch, ois Chicago. Und natürlich gehörten dann auch Tscharlis Ausführungen beim Vorstellungsgespräch dazu, warum er keine Mittlere Reife habe. Eine Reife sei ja nichts, was man in Zahlen ausdrücken könne. Jedenfalls nicht bei einem Menschen, bei einem Käse sei das vielleicht etwas anderes. Und wenn, dann habe er mit seinen siebeneinhalb Jahren höherer Schulbildung schon mindestens eine Dreiviertelreife.
Showdown am Siegestor
Daneben gibt es natürlich auch die wortlosen Szenen, Momente der bayerischen Fernsehgeschichte, die legendär wurden. Allen voran natürlich jener Showdown in der Folge „Der lange Weg nach Sacramento“, in dem Tscharli mit seinen Spezln Gustl und Ahmed alias Zorro, Gringo und Zapata auf drei „geliehenen“ Pferden auf der Ludwigstraße Richtung Siegestor reitet – und ihnen drei berittene Polizisten entgegenkommen.
Jetzt feiern die „Münchner Geschichten“, dieses Stück kollektives Münchner Kulturgut, Geburtstag. Im Jahr 1974 wurde die neunteilige Serie zum ersten Mal ausgestrahlt. Es war zwar gegen Ende des Jahres, der 26. November, als die erste Folge im Fernsehen lief, aber der Bayerische Rundfunk begeht das 50. Jubiläum nun schon ab dem 26. Mai mit einer Wiederholung der Serie. So genau lässt sich das Geburtsdatum einer Fernsehproduktion ja ohnehin nicht feststellen. Das ist wie mit der Dreiviertelreife. Feiern also auch wir den neunundvierzigeinhalbten Geburtstag. Außerdem steht ja auch der 22. Juni vor der Tür; da wäre Helmut Dietl 80 Jahre alt geworden.
Und auch diese Information haben wir ausgegraben: 300 Jahre wird der Münchner Stadtteil Lehel in diesem Jahr alt, wenn man die Eingemeindung als Geburtsdatum zugrundelegt. Das Lehel, genauer noch: die St.-Anna-Vorstadt, zwischen Isar, Chinesischem Turm und Maxmonument gelegen, ist die eigentliche Protagonistin der Serie. Eine tragische Protagonistin. Denn so humorvoll die Geschichten daherkommen, so tief traurig ist das Ganze eigentlich. Es geht um Gentrifizierung zu einer Zeit, als dieses Wort noch keiner kannte, aber die Abrissbirnen nicht weniger effektiv zuschlugen. Es geht um den Niedergang des Lehels. Pars pro toto, versteht sich.
Mittendrin, in der Tattenbachstraße, wohnen – noch – die Häuslers, der Tscharli und seine Oma. Beide sind sie von Dietl genial wie mutig besetzt: Günther Maria Halmer gehörte damals zum Nachwuchs im Ensemble der Münchner Kammerspiele, dem Fernsehpublikum war er gänzlich unbekannt. Und Therese Giehse, selbst im Lehel gebürtig und wohnhaft, war zwar eine große, bewunderte Theaterschauspielerin, doch in einer Fernsehserie hatte auch sie noch nie gespielt.
Wider den weißblauen Quatsch
Unterstützt werden die beiden durch eine ebenso stimmig besetzte Darstellerriege, darunter Towje Kleiner, Michaela May, Ruth Drexel, Karl Obermayr und Hans Brenner. Gustl Bayrhammer, der wenige Jahre später in einer kleinen Werkstatt zwei Straßen weiter den netten Schreinermeister Eder spielen wird, gibt hier die personifizierte Gentrifizierung, den gescherten Immobilienbesitzer Fischhuber, der sein altes Haus entmieten und zu Gold machen will.
Es ist der Beginn einer Ära, den die Erstausstrahlung der „Münchner Geschichten“ markiert: der Ära der anspruchsvollen Vorabendserie, für die dann später neben Dietl selbst vor allem der Name Franz Xaver Bogner stehen wird.
Zunächst war es eine Auftragsarbeit, die Dietl da abzuliefern hatte. Heute wäre so etwas unvorstellbar: Dietl hatte noch nie etwas Größeres inszeniert, und trotzdem ließ man ihn machen. Ein neues Format sollte her, bayerisch, aber irgendwie dann doch anders als die Vorabendserien, die man bisher kannte. So viele waren es ja nicht: „Funkstreife Isar 12“ oder „Die seltsamen Methoden des Franz Josef Wanninger“ hießen sie und boten unterhaltsame Kurzkrimis. Was Dietl nun schuf, schlug aus der Art. Von da an war „ois anders“, um mal eben den Titel der letzten Folge mutwillig zweckzuentfremden.
Es ist auch ein neues Bayern-Bild, das hier gezeichnet wird. „Es war, als wären die Leute unendlich dankbar dafür“, schreibt Dietl-Biograph Claudius Seidl, „dass Dietl ein München inszeniert hatte, zu dem man sich bekennen konnte“ – ein München „ohne den folkoristischen Überdruck, ohne Mia-san-mia-Behäbigkeit, ohne den ganzen weißblauen Quatsch“.
Die Suche nach der „Riesensach“
Der Tscharli ist eines, das erste der Alter Egos des Regisseurs, die seine Serien tragen. Sie sind zwar unterschiedlich, aber eben doch immer auch Dietl; später werden dem Tscharli der Stadtneurotiker Maximilian Glanz („Der ganz normale Wahnsinn“), der Stenz Franz Münchinger („Monaco Franze“) und der Klatschreporter Baby Schimmerlos („Kir Royal“) folgen.
Der Tscharli – nur seine Oma nennt ihn Karl, mit diesem wundervoll gerollten R – ist ein Hallodri, ein Springinkerl. „Ziel ist scheiße, Ziel macht unfrei“, sagt er, und entsprechend ziellos streift er durch sein München. Ihm imponieren die jungen halbseidenen Typen, die es in der damaligen Goldgräberstimmung schnell zu etwas gebracht haben, nicht selten auf Kosten anderer („Die muass ma megn, sonst mog ma se gar net.“).
Auch Tscharli sucht den schnellen Aufstieg, wittert schnell die „Riesensach“, heckt immer wieder neue Ideen aus, denkt sich neue Wege zum Erfolg aus: den Jeansladen, die Kleinkunstagentur, die Baustellenkantine, die Negativwerbung im Reisebüro, sogar auf vermeintlich sichere Pferdewetten lässt er sich ein. Einmal ist er kurz davor, seine Oma in ein Ein-Zimmer-Appartment draußen in Neuperlach abzuschieben, um ihre Altbauwohnung gewinnbringend unterzuvermieten. Funktionieren tun die Pläne dieses fürchterlich nervigen und doch liebenswerten Aufschneiders freilich nie. Einzig seine Oma verliert dennoch nie den Glauben an ihren Karl. Der könne schon was, wenn er wolle, meint sie. „Er müsste einfach öfter wollen.“
Tut er aber nicht. Sonst würde er ja noch so enden wie der Gustl in seiner Versicherung, der Ahmed in seinem Taxi oder die Hillermeiers in ihrer Wirtschaft, dem St.-Anna-Eck. Und wenn dann mal was läuft, wie der Laden, den er mit seiner Freundin, der Susi, eröffnet hat, dann schmeißt er hin, packt sein Badezeug und geht zum Baden an die Isar. Weil ein Geschäft nichts ist für einen wie ihn, für „einen Menschen mit einer empfindlichen Sensibilität“.
Was für so einen am Ende bleibt, wenn die letzten Bewohner aus dem Haus in der Tattenbachstraße ausgezogen sind, wenn die Oma im Altersheim ist, die Susi einen Neuen hat und der Gustl seine Abende nur noch mit der Freundin verbringt, das lässt die Serie offen. Aber: Schee war’s.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen