Die Magie des WEF in Davos: Auf dem Zauberberg
Ich hätte da so eine Geschäftsidee… Was einen Sozialunternehmer, einen Unternehmensberater und einen Drogerieketten-Manager an Davos reizt.
DAVOS taz | Mit der Drahtseilbahn fährt man aus der Welt heraus nach oben. Auf knapp 1.900 Metern über dem Meeresspiegel liegt das Hotel Schatzalp, das schon Thomas Mann in seinem Zauberberg erwähnte. Ein Telefonvermittlungsschrank aus dem vergangenen Jahrhundert steht in der Jugendstillobby des 1899 erbauten Hauses. In der Pianobar hängt großflächig griechische Mythologie in Öl, und im Restaurant speist Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, bevor der Sturm des World Economic Forum (WEF) am nächsten Tag unten im Skiort Davos losbricht.
Gegenüber, im Ballsaal, dinieren die Young Global Leader. Die Bezeichnung ist nicht wörtlich zu nehmen. Jürgen Griesbeck zum Beispiel hat seinen 47. Geburtstag bereits hinter sich. Jung steht hier für „eine Firma mal anders aufziehen“. WEF-Chef Klaus Schwab lädt Sozialunternehmer wie ihn ein, damit das Forum frische Impulse bekommt. Griesbeck, Hemd ohne Schlips, Jeans, unrasiert, hat die Organisation streetfootballworld gegründet, die weltweit Fußball als Mittel benutzt, um arme Jugendliche für Schule, Ausbildung oder Aidsvorsorge zu interessieren.
Jetzt sitzt der Mann beim Abendessen zufällig neben Zanele Mbeki. Sie kannten sich vorher nicht, aber er weiß, wer sie ist: die frühere First Lady Südafrikas, die in der Stiftung von WEF-Gründer Klaus Schwab mitarbeitet. „Das ist die Magie von Davos“, sagt Griesbeck. Ihm ist bekannt, dass Südafrika noch Geld von der Fußball-WM 2010 übrig hat, das sozialen Zwecken zugutekommen soll. Und Griesbeck kennt dort Projekte, die mit den Mitteln etwas anzufangen wüssten.
Vereinbart wird beim Abendessen auf der Schatzalp nichts. Aber wenn sich der Fußballunternehmer in einigen Wochen bei Frau Mbeki meldet, geht das Gespräch weiter. Für Jürgen Griesbeck hat sich Davos schon gelohnt.
Trockenobst bei PricewaterhouseCoopers
Im Hotel Steigenberger-Belvedere unten im Tal ist tags darauf eine andere Show im Gange. Ein Restaurant, das mit viel dunklem Holz normalerweise aussieht wie ein altes Schweizer Bauernhaus, hat die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers ganz mit weißem Stoff auskleiden lassen. Gereicht werden Trockenobst und trockener Wein.
Die Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsfirma stellt hier am Vorabend des WEF ihre alljährliche globale Umfrage unter Managern vor. Mit dabei ist auch PwC-Deutschland-Chef Norbert Winkeljohann, sehr groß, glatt rasiert, Anzug komplett.
Er wird am kommenden Tag am Rande des WEF einen wichtigen Mandanten seiner Firma treffen. Dabei geht es nicht um neue Verträge, sondern darum, sich darüber zu informieren, was in dem Unternehmen im Gange ist. Winkeljohann beantwortet auch Fragen des Mandanten: Wie gehen andere Unternehmen mit diesem und jenem Problem um? Aus derartigem Informationsaustausch dürfen später gern neue Aufträge entstehen.
Im Kongresszentrum von Davos läuft das WEF mit seinen Seminaren und Workshops nun auf vollen Touren. Trifft man jemanden, sieht man ihm nicht ins Gesicht, sondern schaut als Erstes auf die Plastikkarte, die um den Hals baumelt – dort sind Name und Funktion verzeichnet.
Keine Kundentermine in Davos
An der Bar reichen Japanerinnen in Kimonos Tee. Hier sitzt für ein Weilchen auch Erich Harsch, der Geschäftsführer der rund 2.700 dm-Drogeriemärkte in Deutschland und elf weiteren europäischen Ländern. Kunden oder Lieferanten, sagt Harsch – dunkler Anzug, Schlips, Dreitagebart – wolle er hier kaum treffen.
Einen ganzen Tag lang habe er das dicke WEF-Programm mit Hunderten Podien, Sessions und Diskussionen durchgearbeitet. Er habe sich vor allem Veranstaltungen über Werte und Nachhaltigkeit herausgesucht, strebe nach „Bewusstseinserweiterung“, neuen Ideen, einem Gefühl für den Puls der Zeit. Auch zum Frühstück mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler tags darauf will Harsch gehen.
So unterschiedlich die Motive des Sozialunternehmers, des Wirtschaftsprüfers und des Drogeriemanagers, so verschieden sind auch die Erwartungen der anderen Besucher. Öffentlich sichtbar aber ist fast ausschließlich die politische Dimension des Forums: Da erklärt der britische Premier David Cameron, warum er 2017 eine Volksabstimmung über den EU-Austritt seines Landes abhalten will. Kanzlerin Angela Merkel lässt in ihrer Rede durchblicken, dass das ja alles noch ganz schön weit weg sei.
Und IWF-Chefin Christine Lagarde fordert die Europäer auf, endlich ordentlich zusammenzuarbeiten, bevor sie mit der Drahtseilbahn wieder auf die Schatzalp entschwindet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?