Die Macher über "Stuckrad Late Night": "In der Tradition von Kulenkampff"
Anarchisch, um die Ecke, nervig. Ein Gespräch mit Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Ulmen zur neuen Staffel von "Stuckrad Late Night".
taz: Herr Stuckrad-Barre, Herr Ulmen, zum Ende der ersten Staffel hat ein FAZ-Kritiker geschrieben: "So wie jetzt kann es nicht weitergehen."
Benjamin von Stuckrad-Barre: Meinte er Deutschland?
Nein, er meinte "Stuckrad Late Night". Werden Sie ihm den Gefallen tun?
Stuckrad-Barre: Was soll denn das heißen: "So kann es nicht weitergehen"? Das denke ich dreimal pro Tag, das ist ja vollkommen lächerlich. Kommt ein Mann von der taz und zitiert als Erstes gleich mal die FAZ, das ist andererseits sehr lustig. Wie auch immer, wir haben die Show von Anfang an so angelegt, dass wir da Dinge ausprobieren, immer wieder aufs Neue - im vollen Bewusstsein, dass auch immer was schiefgehen kann. Die 19. und 20. Sendung der ersten Staffel zum Beispiel sahen anders aus als die erste und zweite, weil wir die Show fortlaufend weiterentwickelt haben.
Was wird sich mit der zweiten Staffel ändern?
Stuckrad-Barre: Jetzt wollen wir mal den Fehler ausprobieren, sofort den Gast auf die Bühne zu holen und nicht erst nach der ersten Hälfte der Sendung. Dann wird es höchstwahrscheinlich irgendwo anders hängen, aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Show immer erst mit dem Auftritt des Gastes richtig Fahrt aufgenommen hat und auch mir ab dem Punkt mehr Spaß macht. Ich brauche ein direktes Gegenüber, auf das ich mich beziehen kann und mit dem gemeinsam ich da durchlatschen kann.
Benjamin von Stuckrad-Barre, 37, 1998 bekannt geworden mit seinem Debütroman "Soloalbum", schreibt seit 2008 exklusiv für Springer-Blätter.
Christian Ulmen, 36, um die Jahrtausendwende bekannt geworden als MTV-Moderator. Mit seiner Firma Ulmen Television produziert er "Stuckrad Late Night.
***
Stuckrad Late Night
Unterstützt von Hajo Schumacher und Jörg Schönbohm begrüßt Stuckrad-Barre seit 2010 Politiker zu seinem Talk. In der ersten Folge der zweiten Staffel ist heute Exwirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zu Gast (23.30 Uhr, ZDFneo). Hin und wieder dürfen künftig auch Gäste aus der Unterhaltungsbranche kommen.
Christian Ulmen: Es wird in der zweiten Staffel auch keine Positionen mehr geben. Inhaltlich (lacht), nein, auf der Bühne. Das war auch eine Lektion der ersten Staffel, dass Benjamin immer noch darüber nachdenken muss, ob er im Licht steht oder nicht. Das neue Studio birgt die Möglichkeit, jeden Winkel auszuleuchten. Und die Kameras richten sich nach Benjamin und nicht umgekehrt.
Stuckrad-Barre: Diese Regiebefehle haben mich wahnsinnig gemacht: "Du musst in die 3 gucken, und - ganz wichtig - wenn du diesen Gag mit der Blumenvase machst, dann hältst du die in die 5, redest dabei aber in die 2." Dieses Müllwissen, mit dem man eine Stunde vor der Sendung vollgestopft wird. Ich kann mich dann nicht mehr darauf konzentrieren, was ich, während ich da in die 2 spreche und in irgendwas in die 5 halte oder umgekehrt, eigentlich sagen will. So einen Quatsch will ich gar nicht beherrschen, mich aber auch nicht davon beherrschen lassen - sollen die 5 und die 2 halt mir hinterherlaufen.
Ulmen: Damit steht Benjamin in der Tradition von Hans-Joachim Kulenkampff - kein Witz! Der beherrschte es auch nicht, einen Ablauf einzuhalten hinsichtlich Kamerapositionen und Licht, sodass sich alles um ihn drehen musste. Auch bei Benjamin macht das nichts, denn er war ja nie als Moderator gedacht. Das ist der Stuckrad-Barre, der das, was er sonst in Schriftform tut, nun eben in einer Fernsehshow auslebt. Und da haben wir hinter den Kulissen die Aufgabe, ihn Stuckrad-Barre sein zu lassen.
Also war es ein großes Missverständnis in den harten Kritiken zur ersten Staffel, dass man an Ihre Leistung die gleichen Parameter angelegt hat wie bei richtigen Fernsehmoderatoren?
Stuckrad-Barre: Kritiker haben eine große Freude daran, ein Scheitern zu attestieren. Hat man gerade wieder bei Gottschalk beobachten können, dabei ist es, speziell am Anfang, vollkommen sinnlos - ist doch gut, wenn jemand etwas ausprobiert. Als Journalist kann ich die Lust am Verriss zwar gut nachvollziehen, verreißen macht erst mal mehr Spaß, ist auch viel einfacher, und Kritik ist dann besonders lustig und gut, wenn sie sadistisch ist und destruktiv. Aber ist sie für mich als Akteur produktiv? Nein. Also blende ich Verrisse wie auch Lob aus, indem ich das alles nicht lese. Ganz einfach.
Ulmen: Der Impact - um mal eins von Benjamins Lieblingswörtern zu verwenden - von Kritik auf das alltägliche Fernsehgeschäft wird überschätzt - von den Kritikern. Es ist nicht so, dass man mit den Leuten vom ZDF die Kritiken durchgeht und sie sich kollektiv zu Herzen nimmt. Solche Sitzungen finden zum Leidwesen aller Kritiker nicht statt.
Ihr Redaktionsleiter Johannes Boss hat mal gesagt: "Wir wollen Überraschungsmomente schaffen." Wird das in der zweiten Staffel eher leichter oder schwerer?
Stuckrad-Barre: Ich finde es eher leichter, schon weil es, ganz banal, jetzt einfacher ist, Gäste einzuladen, die in der ersten Staffel noch dankend abgelehnt haben, weil sie nicht wussten, worauf sie sich einlassen.
Kommt Guido Westerwelle?
Stuckrad-Barre: Den wollen wir gar nicht mehr.
Lieber Patrick Döring?
Stuckrad-Barre: Ja, Herr Döring wäre auch kurz gut gewesen. Bei der FDP muss man eigentlich live sein, da kannste gar nicht einen Tag vorher aufzeichnen, um auch wirklich den jeweils aktuellen Hoffnungsträger in der Show zu haben.
Sendungen, in die Politiker eingeladen werden, gibt es ja einige. Was genau wollen Sie mit Ihrer Show?
Stuckrad-Barre: Allzu große Ansagen sind lächerlich, und niemand denkt während des Machens dauernd so abstrakt über die eigene Arbeit nach, oder wenn er das tut, kommt ein bombastischer Quatsch dabei heraus. Es ist doch relativ simpel: Man sucht sich seinen Ort, an dem man sprechen kann und mag, wo die Leute okay sind, die Bedingungen gut, das Umfeld für einen selbst in Ordnung, der Kaffee gut, die Bezahlung okay und so weiter. Ich habe mit dieser Sendung und dieser Produktionsfirma UlmenTV für mich einen solchen Ort gefunden.
Also Scheiß auf den Überbau?
Stuckrad-Barre: Nö, gar nicht.
Ulmen: Doch!
Stuckrad-Barre: Eine belastbare Haltung erwächst vor allem durch kontinuierliches Arbeiten. Alles andere ist Liedermachergewäsch auf Kirchentagen.
Ulmen: Die zentrale Frage für unsere Arbeit an "Stuckrad Late Night" ist: Was macht uns Spaß? Worüber können wir lachen? Worüber wird der Zuschauer staunen, irritiert sein oder: Was wird er im allerbesten Fall nicht vergessen. Diese Naivität in der Herangehensweise bewahren wir uns ganz bewusst. Und dann wird durch die Konstellation "Politiker trifft auf Stuckrad und gibt ungewöhnliche Antworten auf ungewöhnliche Fragen" schon automatisch etwas abfallen, das einen beiläufigen Blick auf Politikrealität wirft, ohne dass wir erst mal ein Manifest formulieren müssen.
Warum machen Sie "Stuckrad Late Night" zusammen?
Ulmen: Weil zwischen uns eine unausgesprochene Einigkeit darüber herrscht, wie gutes Fernsehen aussehen soll.
Stuckrad-Barre: Mir leuchtet es sehr ein, dass Christian nach frustrierenden Erfahrungen mit der TV-Branche aus Notwehr, Realismus und Überdruss eine eigene Produktionsfirma gegründet hat, um genau die ihm entsprechenden Projekte auf eine ihm angenehme Art verwirklichen zu können. Wichtig ist aber auch, dass wir beide immer wieder andere Sachen mit anderen Leuten machen. Doch wir bleiben immer im Gespräch, tauschen uns aus über Sachen, die wir sehen und mögen oder auch nicht mögen. Davon handelt unsere Freundschaft.
Was wünschen Sie sich für die zweite Staffel?
Ulmen: Dass ich abends vorm Einschlafen wieder den einen oder anderen Satz aus der Show vom Tage im Ohr habe, ich vielleicht sogar noch mal kurz lachen muss über eine Antwort aus den "Schnellen Fragen" …
… einem Herzstück der Sendung, in dem Benjamin von Stuckrad-Barre etwa Andrea Ypsilanti gefragt hat: "Schönes Gefühl, mal wieder im Fernsehen zu sein?" oder Thilo Sarrazin wie der Klingelton von seinem Handy geht.
Stuckrad-Barre: Und er antwortet: rrrrrr. rrrrrr. Eine geisteskranke Frage, aber das ist eine Art, um die Ecke zu einer Wahrheit zu kommen. Da muss ich ihn nicht wie andere andauernd fragen: Sind Sie Rassist? Sind Sie Rassist? Sind Sie Rassist? Was ich ihn natürlich auch gefragt habe, aber so ganz beiläufig, zwischen Handyklingelton und Lieblingslied von Madonna.
Hat das neue Studio eine Klimaanlage?
Ulmen: Ja, hat es.
Stuckrad-Barre: Aber ich werde trotzdem wieder schwitzen. Das macht aber gar nichts. Da passiert etwas, auch mit dem Moderator, der wirft sich hinein und weiß selbst nicht so genau, wohin das alles führt. Ist doch herrlich. Ich bin eben nicht Kai Pflaume, der auch in Minute 90 noch perfekt gepudert ist und ohne jeden Selbstzweifel, vollkommen unangetastet vom Verlauf seiner Sendung. Ich finde es völlig in Ordnung, zu schwitzen in einer so künstlichen Situation.
"Stuckrad Late Night", ZDFNeo, 23.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“