Die Linke und die Geheimdienste: Abschaffen - und dann zähmen
Ganz weg? Oder nur besser kontrollieren? Monatelang stritt die Linkspartei darum, wie sie zu Geheimdiensten steht. Jetzt ist ein merkwürdiger Kompromiss entstanden.
BERLIN taz Wäre es nach Ulla Jelpke gegangen, hätte sich die Linkspartei schon vor einem halben Jahr mal so richtig grundsätzlich zu Geheimdiensten positioniert. Komplett weg mit all diesen Agenten - das war der Kern eines Antrags der Innenpolitikerin, der Ende Mai auf dem Parteitag in Cottbus zur Abstimmung stehen sollte. Doch plötzlich meldeten sich Kollegen wie der Rechtspolitiker Wolfgang Neskovic zu Wort, die diese Radikalforderung nicht mittragen wollten. Und so wurde der Parteivorstand beauftragt, zwischen Fundis und Realos zu vermitteln.
Dieser hat jetzt einen einen ulkigen Kompromiss gefunden. Kernsatz des Beschlusses ist: "Die Partei die Linke vertritt das langfristige Ziel der Abschaffung von Geheimdiensten." Doch finden sich anschließend noch drei Punkte, deren Aufnahme Neskovic per Brief gefordert hatte. Sie formulieren so ziemlich das Gegenteil des Kernsatzes und erklären Geheimdienste für grundsätzlich legitim. Sie müssten nur einer "rechtsstaatlichen Zähmung" unterworfen und in "Politikberatungsinstitutionen" umstrukturiert werden.
Klingt reichlich unvereinbar. Doch wie das so ist bei Kompromissen - beide Seiten meinen, sich auf voller Linie durchgesetzt zu haben. "Ein kluger Beschluss des Parteivorstands", urteilt Neskovic. "Ich bin zufrieden", sagt Ulla Jelpke. "Ich auch", freut sich die stellvertretende Parteichefin Halina Wawzyniak.
Das Grinsen trügt ein wenig. Denn hinter den Kulissen wurde monatelang gerungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Bürgerrechte und Demokratie tagte, die Rechts- und Innenpolitiker der Länder kamen nach Berlin, Beratungsrunden wurden gegründet. Der widersprüchliche Beschluss legt offen, wie sehr sich beim Thema Geheimdienste die Fronten in der Bundestagsfraktion der Linken verhärtet haben.
Da sind zum einen die Schlapphutverächter um Jelpke, Wawzyniak oder auch Bodo Ramelow, der in Thüringen Ministerpräsident werden will. Wawzyniak ist in der DDR aufgewachsen. Sie sagt: "Es ist eine Lehre aus der Geschichte, dass sich Geheimdienste verselbstständigen." Das sei in einer Demokratie nicht hinnehmbar. Jelpke, ein Westprodukt, sieht das ähnlich. "Geheimdienste sind nicht kontrollierbar", sagt sie. "Und sie nehmen vor allem widerspenstige Linke ins Visier, während sie Neonazis außer Acht lassen."
Die Schlapphutverächter lesen den Beschluss des Parteivorstands daher nur bis zum Punkt nach dem Kernsatz. Die anschließenden Zeilen würden allenfalls einen "Weg zu unserem Ziel" beschreiben, betont Wawzyniak. Und ihre Kollegin Jelpke merkt an: "Mir wäre es lieb gewesen, das Wort 'langfristig' noch rauszunehmen. Das wäre eine vernünftige Ansage gewesen."
Derlei Fundamentalpositionen sind für Wolfgang Neskovic fernab jeglicher Realität. Der 60-Jährige, der kein Linken-Mitglied ist, aber so gut wie alles Rechtspolitische für die Fraktion erledigt, ist zwar Diensten gegenüber ebenfalls skeptisch. Aber statt sie abzuschaffen, will er sie transparenter machen und die parlamentarische Kontrolle reformieren. Dazu hat er einen Gesetzentwurf vorgelegt. "Geheimdienste sind Teil der wehrhaften Demokratie" findet er. Und wenn er richtig in Fahrt ist, wirft er denjenigen, die die Dienste abschaffen wollen, schon mal vor, verfassungsfeindlich zu sein. Auf den Treffen der letzten Monate soll das häufiger vorgekommen sein. Jelpke und Co. waren dann auf hundertachtzig.
Mit dem Beschluss ist aber auch Neskovic zufrieden. Trotz des Fundamentalziels. Durch das Wörtchen "langfristig" sei eine Abschaffung ja "auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben", unkt er. "Die Forderung nach einer gänzlichen Abschaffung der Geheimdienste, die weder politisch noch verfassungsrechtlich durchzuhalten wäre, wird so faktisch gegenstandslos." So wird wohl weiter gestritten. Beschluss hin oder her.
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