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■ Die Linke kann nicht nur gegen Privatisierung mauern. Sie braucht neue Modelle, um Planung und Marktwirtschaft zu verbinden. Denn der Versorgungsstaat hat ausgedientFür einen ökologischen New Deal

Überall das gleiche Problem: Den modernen Gesellschaften geht die Arbeit aus. Dabei gäbe es genug zu tun. Weil die Produktivität schneller wächst als die Märkte, werden Industriearbeitsplätze knapp. Eigentich dürfte das kein Problem sein. Wer sehnt sich schon danach, am Hochofen zu schwitzen, statt an der Renaturierung von Flußläufen zu arbeiten? Trotzdem kommt der Richtungswechsel nicht zustande. Das hat mit dem strukturellen Konservatismus der Märkte zu tun.

Denn die sonst so fortschrittssensiblen Märkte sind blind, wenn es um neue Bedürfnisse geht. Das Grunddilemma kennen wir: Den Park um die Ecke können wir uns nicht kaufen. Statt dessen gibt's Autos für Fahrten ins Grüne. Weil nur nachgefragt werden kann, was angeboten wird, weiß niemand, was die Verbraucher wirklich wollen. Das räumen sogar marktgläubige Ökonomen ein. Sie antworten: Die Konkurrenz der Anbieter sorge schon dafür, daß jedes nur erdenkliche Bedürfnis aufgegriffen werde. Für die weniger teuren Veränderungen der gegebenen Produktlinien stimmt das. Bei kapital- und forschungsaufwendigen Richtungsänderungen verbietet sich jedoch ein Trial-and-error- Verfahren. Weil niemand weiß, wieviel Energiesparautos verkauft würden, bleibt es beim alten.

Im Unterschied zu den Märkten hat die Politik die Möglichkeit, die Veränderung der Bedürfnisstruktur verläßlicher abzubilden. Seit dem New Deal wurde diese Chance allerdings kaum noch genutzt, weil es als politisches Tabu gilt, in die Ökonomie einzugreifen. Trotzdem gibt es Bereiche, in denen die öffentlichen Hände der privaten Nachfrage aufhelfen – zum Beispiel beim Nahverkehr und in der Abfallwirtschaft. Dabei hat sich eingebürgert, daß auch das Angebot von staatlichen Unternehmen erbracht wird. Das ist verständlich: Warum soll privates Kapital aus öffentlich stabilisierten Märkten Extraprofit saugen dürfen? Der Nachteil ist: Die öffentlichen Betriebe sind inzwischen derart verkrustet, daß sie sich einer bedürfnisorientierten politischen Kontrolle entziehen.

Deshalb muß man zwischen Staat und Wirtschaft eine neue Schnittstelle schaffen, die quer zu den alten Trennungslinien von Politik und Ökonomie liegt. In Zukunft soll die Politik entscheiden, was gemacht wird. Die effiziente Bereitstellung der gewünschten Güter kann dann Marktmechanismen überlassen werden. Nach diesem Konzept treten die öffentlichen Hände nur noch als Auftraggeber auf, die die Verbraucherwünsche durchsetzen, indem sie die Herstellung der gewünschten Güter bei privaten Unternehmen in Auftrag geben. Die Trennung zwischen Finanzierung und Bereitstellung schafft einen neuen Markt, der sich von traditionellen Märkten unterscheidet, weil hier nur um die günstigste Herstellung konkurriert wird, während die qualitative Definition des Angebotes und die Festsetzung der Konsumentenpreise in politischer Hand bleibt. Dieses Modell ist den neuen Konzernstrukturen abgeguckt: Dort werden die inneren Hierarchien immer häufiger durch Marktmechanismen ersetzt, während die Definition und Veräußerung des fertigen Produktes dem Hauptquartier überlassen bleibt.

Ein Beispiel: Natürlich ist es sinnvoll, daß nicht jeder seinen Müllkutscher selber bestellt. Das wäre viel zu teuer. Das müssen die Kommunen machen, die dann auch beim Bürger kassieren. Allerdings ist es nicht zwingend, daß die Müllwerker bei öffentlichen Unternehmen arbeiten. Ihre berechtigten sozialen Standards können auch anders bewahrt werden. Das Problem sind die klientelistischen Selbstblockaden öffentlicher Unternehmen, die politische Lenkung behinderen. Deshalb muß die Politik für sich die Rolle eines unabhängigen Auftraggebers erstreiten, der z.B. einen neuen Markt für Müllvermeidungs- und Recyclingtechniken schafft. Diese „politischen Märkte“ sind fragile Gebilde. So müssen die öffentlichen Aufträge so zugeschnitten sein, daß stets eine ausreichende Zahl von Anbietern auf dem Markt ist – weil sonst oligopolitische Verfilzungen entstehen. Bei der Auftragsvergabe dürfen zudem nur Unternehmen berücksichtigt werden, die Tariflöhne zahlen. Und Gewerkschaften, Verbraucherorganisationen und Bürgerinitiativen brauchen verbriefte Kontrollrechte.

Im Bereich der Energiewirtschaft käme z.B. alles darauf an, den Kommunen das sogenannte „Alleinabnehmersystem“ und den Spielraum bei den Verbraucherpreisen zu sichern. Wenn das gelingt, könnten die Kraftwerke privatisiert werden. Die Kommunen würden den Strom beim regionalwirtschaftlich und ökologisch günstigsten Anbieter kaufen, um ihn zu umwelt- und wirtschaftspolitisch gewollten Preisen an die Endverbraucher weiterzugeben.

Dieser Ansatz ist auf all jene Sektoren ausweitbar, wo die Nachfrage sonst nicht zum Zuge käme. Neben den klassischen Bereichen der Stadtwirtschaft (Abfall, Wasser, Gas, Strom und Nahverkehr) betrifft das Wohnungsbau und Stadtsanierung, soziokulturelle Dienstleistungen, Verkehr u.a. Das sind die Schlüsselbereiche eines ökologischen New Deals, der auf neue Bedürfnisse eingeht und Beschäftigungsmöglichkeiten für ehemalige Industriearbeiter schafft. Alternativbetriebe und Beschäftigungsgesellschaften sollen dabei besonders gefördert werden, so daß ein neuer, zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst angesiedelter dritter Sektor entsteht.

Ein Nebeneffekt ist, daß in öffentlichen Versorgungsunternehmen gebundenes Kapital „mobilisiert“ werden kann. Für die vielen ums finanzielle Überleben kämpfenden Kommunen wäre das eine Alternative zur gegenwärtigen Privatisierungsstrategie, öffentliche in private Monopole zu verwandeln.

Es hat keinen Sinn, angesichts der neoliberalen Deregulierung nur auf die Bremse zu treten. Vielmehr gilt es die sektorale Trennung zwischen Staats- und Privatwirtschaft durch eine neue horizontale Arbeitsteilung zwischen Politik und Ökonomie abzulösen. Solidarität ist ohne Ausweitung der Staatsfunktionen nicht zu haben. Wir sollten dies nicht als patriarchalischen Versorgungsstaat konzipieren, der alles, was er bezahlt, auch selber macht. Die Zukunft gehört dem regionalisierten Transferstaat, der bezahlt und politisch gestaltet, wo die Gemeinanliegen sonst unter die Räder kämen. Willi Brüggen

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