Die Leere nach der US-Wahlnacht: Liebeskummer über die Zukunft, die hätte kommen sollen
Unsere Kolumnistin hat den Wahlkampf in den USA begleitet. Ihre letzte Kolumne über die Stille in der Wahlnacht und wie es jetzt weitergehen muss.
E s war leise in Washington, D. C., als die amerikanische Demokratie sich in die Hände eines rechtsextremen Sexualstraftäters übergab. Es war so leise, auf den Straßen hörte man den Wind in den Bäumen, CNN durch die Wohnzimmerfenster, Hundegebell in der Ferne. Was man nicht hörte: Wörter, die diesem Moment gewachsen waren.
Eine Stunde bin ich in der Nacht durch die Hauptstadt gelaufen, auf dem Weg zur Wahlfeier von Kamala Harris. Auch dort: Sprachlosigkeit. Stundenlanges Warten auf die Rede der Beinahe-Präsidentin, die dann doch nicht kam.
Liebeskummer ist das Gefühl, das dieser Nacht vielleicht am nächsten kam. Liebeskummer, weil man eine Zukunft vermisst, die hätte kommen sollen. Weil man sich nach einer Vergangenheit sehnt, die rückblickend ein Abschied war. Und überall diese bodenlose Ungewissheit über alles, was kommt.
Es dauerte keinen halben Tag, bis das ganze Internet nach dem Schuldigen suchte. Waren es die Frauen, die Latinos, die jungen Leute, waren es die Linken oder Rechten? Man kennt sie, die reflexhaften Beschuldigungen nach einer Zurückweisung.
Am selben Abend, als die USA ihren Mann an der Spitze gegen einen Faschisten eintauschten, fand Deutschland heraus, dass es überhaupt einen Mann an der Spitze gibt. Die Trennung, die Olaf Scholz ankündigte, verursachte zwar alles andere als Liebeskummer, aber auch hier: die Suche nach Schuldigen und die Befürchtung, dass wir die Ampel in einem Deutschland unter Friedrich Merz noch mal vermissen werden.
Es werden hektische Monate, in den USA, aber auch in Deutschland. Zyniker werden aus der Lage eine Vergeblichkeit ableiten, entscheiden, dass ein Teil der Welt verloren ist. All das ist ein Versuch, nicht wieder enttäuscht zu werden.
Der Autoritarismus setzt auf Ermüdung
Als ich in der Nacht Saul Levin, einen amerikanischen Aktivisten fragte, wie er auf das Ergebnis reagiert, sagt er: „I don’t know, I need to think.“ Er weiß es nicht, er muss nachdenken. In der kurzen Nachricht steckt eine große Weisheit. Wir wissen so vieles nicht, auch in Deutschland. Wir wissen nicht, wie Klimaschutz durch eine Neuwahl gerettet oder soziale Gerechtigkeit inmitten des Rechtsrucks erkämpft werden kann. Wir wissen nicht, wie die AfD gestoppt oder ein progressives Lager vereint werden kann. Wir wissen nicht, was kommt.
Umso wichtiger, sich einen Augenblick zu nehmen. Um zu denken und zu fühlen. Um Vorsätze zu fassen, die nicht aus Reflex, sondern aus Reflexion erwachsen. Um womöglich festzustellen: Wer in der Demokratie ohne Schmerz bleiben will, der darf nicht hoffen, der darf nicht kämpfen, denn das geht einher mit Enttäuschung, mit Rückschlägen. Zynismus erwartet das Schlechteste von der Welt und wird exakt das in ihr finden.
Und genau das macht Zynismus so wahnsinnig unrealistisch. Denn wer genau hinguckt, der findet eine Welt, in der Menschen auch in der Dunkelheit über sich hinauswachsen. In den nächsten Monaten, so vermute ich, wird es viel darum gehen, die Bedingungen zu schaffen, in denen Menschen wieder mutig sein wollen, sich begeistern für etwas, das vielleicht sein könnte.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
„I am so tired“
In den USA wird das heißen, die Wahrheit, die Zivilgesellschaft, die Lebensgrundlagen und die Minderheiten zu verteidigen und Strukturen zu schaffen, die die rechtsextremen Einschnitte abwehren können – ob bei der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit oder den rechtlichen Absicherungen von Bewegungen und Organisationen.
Unter Trump werden wir erkennen, warum große Krisen längst nicht mehr automatisch zu großer Gegenwehr und vereinten Massen führen. „I am so tired“ war der Satz, den ich in der Wahlnacht am häufigsten gehört habe. Der Autoritarismus setzt auf diese Ermüdung. Immer wieder entfacht er neue Feuer, die ablenken und auszehren.
Wir werden live erleben, wie unwahrscheinlicher Wandel täglich noch unwahrscheinlicher wird. Schlicht, weil Hoffnung immer teurer wird und Mut Schritt für Schritt unbezahlbar. In Deutschland gibt es eine gewisse Tendenz, auf all das zu starren – angeekelt, fasziniert – und nebenbei zu vergessen, etwas daraus zu lernen. Aktivismus und der Kampf für gerechten Wandel ist das Spiel mit Wahrscheinlichkeiten und auch für uns steht die große Frage im Raum, wie die Wahrscheinlichkeit gesteigert werden kann, dass Protest wieder wirkt, dass Bewegungen gesellschaftliche Realitäten verändern.
Auch in Deutschland sind unter der Ampel Räume des Protestes geschrumpft, durch verschärfte Versammlungsgesetze, durch rhetorische und gesetzliche Kriminalisierung von friedlichem Protest. Und auch die Wahrheit ist unter Beschuss, die Klimaleugnung hat ein Comeback, ein ehemaliger Finanzminister schien sich zuletzt nicht einmal zu schämen, als er vorschlug, die deutschen Klimaziele zu streichen. Die USA zeigen gerade unübersehbar, wie viel es in Deutschland zu schützen und bewahren gibt.
Also legen wir los, mit dem Denken, dem Fühlen, dem Machen, als hätten wir eine Demokratie und mit ihr eine Chance auf echten Klimaschutz zu verlieren. Am 7. November schrieb Saul auf X, ehemals Twitter: „Wir überlegen einen Klimaprotest zu organisieren, meldet euch, wenn ihr mit uns etwas auf die Beine stellen wollt.“ Innerhalb von einem Tag meldeten sich erst ein paar, dann immer mehr Menschen. Wir wissen so vieles nicht, und das ist eine gute Nachricht.
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