Die Kunst der Woche: Verwandelt im Bild
Margarete Hahners brilliante Malerei spielt mit Farbe und Ambivalenz. Simon Starling bringt für seine skulpturalen Porträts Flossen und Rot ins Spiel.
D as kleine zweihöckrige Kamel schaut irritiert, als hätte es gerade etwas Unangenehmes entdeckt. Und tatsächlich, seine beiden Höcker bilden ganz eindeutig ein menschliches Gesicht. Das kann einem Kamel schon zusetzen. Aber vielleicht ist alles nur Einbildung? „Fata Morgana“, der Titel, den Margarete Hahner dem kleinformatigen Bild gegeben hat, deutet darauf hin.
Hahner ist eine alte Bekannte bei Zwinger. Die 1960 in Bamberg geborene Künstlerin, die seit 20 Jahren in Los Angeles lebt und arbeitet, stellt seit 1996 bei Werner Müller aus. Und seit jeher sieht man in ihren Bildern plötzlich etwas, das man vorher nicht gesehen hat. Das konnte malerisch, installativ oder filmisch sein. Nun zeigt sie ausschließlich Malerei. Moment! Da ist dieses „Kleid“ (1993), ein kleines Schwarzes, in das ein kleiner Keilrahmen mit weißer Leinwand eingearbeitet ist. Damit man auf der Party eindeutig als Malerin erkannt wird. Oder auch nicht. Man muss es ja nicht glauben, was man sieht, aber man kann.
Das ist die wunderbare Kunst der Margarete Hahner: die Kunst der Verwandlung, die „Romance of Digestion“ wie der Titel ihrer Ausstellung lautet. Die Kunst der Ambivalenz, die Kunst, die Farbe scheinbar ganz einfach, anspruchslos auf die Leinwand zu bringen, tatsächlich aber den Glanz und die Transparenz der roten Vase in einem Gemälde „o.T.“ aus diesem Jahr so gekonnt herauszuarbeiten, dass man den Blick gar nicht mehr abwenden möchte. „Meine Meere kommen aus dem Museum, meine Züge kommen aus dem Film“, hat die Künstlerin einmal gesagt und damit darauf hingewiesen, dass ihre Malerei Konzept ist, Selbstthematisierung und Zitat.
Margarete Hahner: Romance of Digestion. Zwinger Galerie, bis 25. Januar, Di.–Sa. 12–18 Uhr, Mansteinstr. 5
Simon Starling: Project for an Exhibition, Part 1: Time Takes (Scenario for a Conversation). neugerriemschneider, bis 1. Februar, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Linienstr. 155
Die massive, geschlossene Holztür von „Kock Knock“ (2023) stammt aus der Kunstgeschichte und verweist auf die Gucklochtür von „Étant donnés“ (1966). Doch Hahner sieht vor der Tür nicht den Voyeur wie Marcel Duchamp, sondern eher den Bittsteller wie Kafka. Oder einfach sich selbst, denn „manchmal“, sagt sie, „ist Malen wie eine Tür, gegen die man haut und die nicht aufgeht“. Aber bei Zwinger hat sie sich geöffnet, mal sollte nicht versäumen, hindurchzugehen.
Die Quellen des Starling
Ein alter Bekannter ist auch Simon Starling. Der Turner-Preisträger von 2005 wird bereits seit 2001 von neugerriemschneider vertreten. Jetzt zeigt er in der großen Ausstellungshalle der Galerie eine Art Kamingespräch mit den Experten, die bei der Produktion seiner Arbeiten eine zentrale Rolle innehatten.
Mit Graham Eatough von der Theatergruppe Suspect Culture beispielsweise begann Simon Starling 2014 mit der Arbeit „At Twilight (A Play for Two Actors, Eight Masks,Three Musicians and a Donkey Costume)“, einem Stück über W. B. Yeats’ Ausflug ins japanische Noh-Theater während des Ersten Weltkriegs.
Fulvio Ferrari, dem Nachlassverwalter des legendären italienischen Designer Carlo Mollino, war sein Mitarbeiter bei den Turiner Projekten. Der Architekt und Amateurastronom Mike Davies war eine wichtige Quelle für Starling als dieser den Auftrag erheilt, ein Werk für den Venustransit 2012 zu schaffen. Daraus entstand der „Film Black Drop“ (2012), den Starling auf dem 4.207 Meter hohen Vulkan Mauna Kea auf Hawaii drehte, wo erstmals der Astronom und Mathematiker Jeremiah Horrocks einen solchen Durchgang für das Jahr 1639 vorhergesagt hatte.
Weil nun der Nachvollzug des Entstehungsprozesses seiner Werke, die Transformation von Material oder Energie ein wesentlicher Bestandteil und Reiz seiner Arbeit ist und Simon Starling dabei auch mit biologischem, lebendem Material arbeitet, musste er zwangsläufig auf Sherry Phillips treffen, die Konservatorin schlechthin für biobasierte zeitgenössische Kunst. Für sein Infestation Piece hatte Starling einen Kopie von Henry Moores Warrior with Shield 2008 im Ontariosee versenkt, wo sie von Zebramuscheln besiedelt wurde. Deren verrottendes Fleisch zog dann, als die Skulptur im Museum ausgestellt wurde, einen Befall von Kleidermotten nach sich, dem erst Sherry Phillips Herr oder besser Herrin wurde.
Wie man sieht, stecken Starlings prozessuale Kunstwerke voller Überraschungen und unerwartetem Witz. Was sich auch in der Ausgestaltung der skulpturalen Porträts zeigt, für die Starling charakteristische Instrumente, Farben oder Objekte von seinen Mitstreitern verwendet.
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Den Meeresbiologen Sam Bowser charakterisieren Flossen und ein wiederverwendbarer Sauerstofftank, das rote Gestänge dann Mike Davies, der stets in Rot gekleidet auftritt und schließlich findet sich Simon Starling selbst im Kreis seiner Mitstreiter wieder. Ihn kennzeichnen seine drei Schilfbeine, das Klopfbrett und die Bindenadel, die er in den Händen hält, denn Starling beschäftigt sich seit kurzem mit der Technik des Reetdachdeckens.
Wie beim britischen Künstler gerne der Fall, verzweigt sich auch „Project for an Exhibition, Part 1: Time Takes (Scenario for a Conversation)“, seine jetzt achte Einzelausstellung bei neugerriemschneider, jederzeit sehenswert in den übrigen Galerieräumen weiter.
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