piwik no script img

Die Kunst der WocheWessen Zuhause?

Mit „Vidéothèque“ zeigt Tanja Wagner Videokunst in vier Kapiteln. Die Filme laufen je eine Woche vor Ort und im Netz. Sie brennen, beißen und beben.

In Chapter 3 „Can You Imagine?“ eingeflochten: Anna Witts „Braids on Fire/ Trecce in Fiamme“ (2021) Foto: Courtesy of the artist and Galerie Tanja Wagner, Berlin

Beim Putztag schrubbt Bart Simpson Grant Woods Gemälde „American Gothic“, das sich unerklärlicher Weise im Haus der Familie befindet, mit so viel „Mr. Cleanser“, dass er die Farbe abreibt und das Bild mitsamt dem Mann mit der Heugabel ausradiert. Ein Meme mit Marge und Homer, bei dem Homer einen Donut auf dieser Gabel aufgespießt hat, ließ nicht lange auf sich warten. Wobei eigentlich Lisa dort stehen müsste, denn Wood malte einen imaginären Vater und seine Tochter vor das Holzhaus im neogothischen Baustil, das ihm auf einer Autofahrt durch Iowa aufgefallen war.

Damit steht nicht nur die Trickserie in der langen Tradition von Wood-Referenzen, sondern auch Laurel Nakadates Videoarbeit „American Gothic“ von 2006, in der sie auf der Veranda des tatsächlichen Hauses tanzt. Ganz ohne Heugabel, aber mit umso mehr Präsenz. Ihre Arbeit ist Teil des ersten Kapitels von „Vidéothèque“ in der Galerie Tanja Wagner.

In vier Kapiteln – Is This Home / Will You Remember / Can You Imagine / How to Play – mit einer Laufzeit von insgesamt 3,5 Stunden laufen vor Ort und im Viewing Room online Videoarbeiten von Künst­le­r:in­nen der Galerie und Gästen. Die Arbeiten von Angelika J. Trojnarski, Anna Steinert, Anna Witt, Annabel Daou, Bárbara Wagner & Benjamin de Burca, Elisa Giardina Papa, Kapwani Kiwanga, Laurel Nakadate, Melanie-Jame Wolf, Pinar Öğrenci, Šejla Kamerić, und Ulf Aminde verlaufen quer durch Genre und Stile, darunter Dokumentation, Satire, Realismus und experimentelle Formate.

Vidéothèque, Galerie Tanja Wagner, bis 4. März, im Web: tanjawagner.com, vor Ort (Di–Fr): 1 x vormittags, 1 x nachmittags, Chapter 1 bis 15. 2., Chapter 2 ab 16. 2., Pohlstr. 64

Vor Ort werden die Arbeiten auf einer großen Leinwand gescreent. In der Home-Kino-Tradition, die Tanja Wagner während der Pandemie einführte, ist jedes Kapitel außerdem eine Woche lang im Viewing Room auf der Webseite der Galerie zu sehen.

Neben Nakadate zeigt Chapter 1 auch die filmische Oper „deutsche wohnen (what do divas sing)“ (2019) von Ulf Aminde & Christoph Grund und „Bye Bye Deutschland!“ (2017) von Bárbara Wagner & Benjamin de Burca über die deutsche Schlagercoverszene.

Für ihren Kurzfilm „A New Year’s Eve“ von 2021 schließlich hat Pınar Öğrenci ihre dokumentarischen Bilder in ein Rot getaucht hat, das den Effekt des Tränengases spürbar macht, mit dem die türkische Polizei am 30. Dezember 2015 auf friedliche De­mons­tran­t:in­nen in Diyarbakir schoss. Vor den unzähligen Verhaftungen erhält eine Gruppe in einem Einkaufszentrum Zuflucht. Zucker wird hier zu einem Zeichen von Solidarität.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!