Die Kunst der Woche: Show it all!
Mit der Schau „Paint it all!“ zeigt die Berlinische Galerie Gemälde aus ihrer Sammlung. Das Ergebnis ist farbtrunken, unprätentios und überraschend.
Wenn das nur ein Häppchen ist, wie die Ankündigung von „Paint it all!“ es mit dem Hinweis, nur ein Teaser sein zu wollen, so bescheiden formuliert, und wenn das so weiterginge, alle paar Monate mit den farbgetränkten Häppchen in der Berlinischen Galerie, könnte mensch sich die nächsten Jahre ohne Probleme ausschließlich von Vorspeisen ernähren. Für die malereizentrierte Ausstellung präsentiert die Berlinische Galerie zehn Positionen aus ihrer Sammlung, viele der Werke werden zum ersten Mal im Haus gezeigt, so ganz nebenbei ist das Mitte Oktober gestartet, ohne viel Aufhebens und ohne Eröffnung.
Mit Christine Streulis „Warpainting_008“ (2016/2017) ist der Impetus „Alles Malen!“ direkt im All-over-Prinzip umgesetzt. Gerold Millers „Anlage 129“, scheint mit ihrem Entstehungsdatum im Jahr 1996 das Versprechen des Untertitels „Aktuelle Malerei aus Berlin“ zu unterlaufen, es geht hier aber nicht um Dekaden, sondern um Latenz: Wie Miller seinen beigen Lack gemeinsam mit dem dunkel-silber gebürsteten Stahlrahmen antreten lässt, der keinen Bildraum umrandet, sondern selbst Bildträger ist, der Träger des genüsslich herabfließenden Lackes nämlich, das deutet nicht nur auf eine sich selbst genügende Präsenz der Malfarbe hin, sondern auch auf eine unprätentiöse Wahl der Malmittel, die in der Ausstellung immer wieder so angenehm auffällt.
Im äußerst lebhaften zweiten Raum ist das zum Beispiel bei Tamina Amadyar der Fall. Sie trägt ihre semitransparenten Farbfelder, wie hier bei „blue world“ (2020), gern direkt auf die rohe Leinwand auf, die Überlappungen und sanften Komplementärkontraste (ja, so was gibt es!) kommen bei ihr wie immer daher, als handle es sich um die einfachste Geste der Welt. Vielleicht schafft sich die Berlinische Galerie ja demnächst dazu ihre neuesten Malereien in Wasserfarbe an, mit denen sie ins Figurative übergegangen ist und die dabei ebenso lässig in alle möglichen Richtungen auslaufen, denen die Farbsubstanz in dem Moment eben zu folgen gedenkt.
Paint it all! Aktuelle Malerei aus Berlin, Berlinische Galerie, Mi.–Mo. 10–18 Uhr, Di. geschlossen, bis 6. Februar 2023, Alte Jakobstr. 124–128
Auch Tatjana Doll, die 2021 in der BG mit dem Fred-Thieler-Preis für Malerei ausgezeichnet wurde, die unter anderem wieder ihr Gespür für Karosserien unter Beweis stellt, ist hier unerwartet materialnah anzutreffen: bis sich aus dem gigantischen „DUMMY_Dr Bruce Banner II“ (2014) überhaupt ein Hulk-nahes Gesicht formt, ist mensch schon längst eine halbe Stunde lang in den zart applizierten rosa und blauen Schichten und den dickflüssig darüber gleitenden grünen Lackmassen versunken, die hier über die Leinwand schwappen.
Außer Werken von Streuli, Miller, Amadyar und Doll sind außerdem Arbeiten von Philip Grözinger, Eberhard Havekost, Olaf Holzapfel, Zora Mann, Peter Stauss und Thomas Zipp zugegen. Was da wohl noch so alles an malerischen Überraschungen in der Sammlung der BG wohnt? Die Hoffnung liegt bereits jetzt in der Wiederholung der Aktion. Der Wunsch muss lauten: Alles zeigen! Show it all!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland