Die Kunst der Woche: In Zeiten der globalen Wildfeuer
Lucia Kempkes schlägt weiße Schneisen in die Berge. Georg Thumbach zeichnet im Dickicht des Waldes. Und Thomas Fischer lädt zur Summer Show.
D er Mensch muss weg. Er stört das Bild der unberührten Bergwelt, wie sie durch die Malerei der Romantik – freilich längst für Werbezwecke kommerzialisiert und verkitscht – überliefert ist. Und so wird in der analog gefertigten Zeichnung am Ende noch der digitale Radiergummi eingesetzt. Einem paradoxen Erdrutsch gleich schlägt er eine weiße Schneise im Bild. Und schon ist der Mensch wieder im Bild. Weil ihn die Schneise symbolisiert, als Ausdruck des von ihm angerichteten Schadens.
Bei anderen Bleistift-Zeichnungen vom steinigen Boden der Bergwelt kreuzen am Ende statt des Radierers Flecken aus naturfarbener, warmer, wuscheliger Wolle die Wege der Betrachter:innen.
Ganz offensichtlich liebt es Lucia Kempkes, die Eigenschaften und den Einsatz ihres künstlerischen Materials zu hinterfragen. Mit wenigen Mitteln dekonstruiert sie die Zeichnung zum Teppich, mit hohem ästhetischen und einem gewissen humoristischen Gewinn.
In jedem Fall macht sie von Material und Methoden beglückend unwahrscheinlichen Gebrauch. Und baut ein Kajak aus Papier, das sie im Zürichsee aussetzt und dort treiben lässt. Das Video davon führt in ihre Ausstellung „To Protect Us From What We Seek“ in der Kommunalen Galerie Berlin ein.
Lucia Kempes - To Protect Us From What We Seek: Kommunale Galerie Berlin, Hohenzollerndamm 176, bis 4. September,, Di-Fr 10-17, Mi 10-19, Sa, So 11-17 Uhr
Summer Show: Galerie Thomas Fischer: bis 30. Juli, Mulackstr. 14, Do-Sa 12-18 Uhr
Georg Thumbach – Wald: bis 28. 8., C834 Corbusierhaus, Flatowallee 16, jeden Sonntag von 14-18 Uhr. Mittwoch, 27. Juli um 19 Uhr Künstlergespräch
Sie handelt von der zeitgenössischen Darstellung von Landschaft und ihrer Bedeutung als Projektionsfläche unserer Sehnsüchte und Erinnerungen. Lucia Kempkes, 1988 in Xanten geboren, fragt dabei nach der Faszination des Abenteuers, der körperlichen Herausforderung, aber auch dem Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit.
Und wie sie diesen Fragen nachgeht, mit großformatigen Zeichnungen der Gebirgslandschaften, mit Wandteppichen, Knipserfotos vom Strand, mit einer Boden- und einer Bootsskulptur, transformiert sie den Ausstellungsraum zur Ausstellungslandschaft.
In der treibt man wie das Kajak aus Steinpapier (auf Polyethylenbasis hergestellt) im Zürichsee, während man kritischen Fragen zur Zukunft der Landschaft in Zeiten der globalen Wildfeuer nachhängt oder ganz banalen eigenen Sehnsüchten, wie etwa, mal wieder Segeln zu gehen.
Ein Apfel in Venedig
Die Ausstellung geht nur noch bis Ende der Woche. Aber es lohnt sich, vorbeizuschauen: Thomas Fischer zeigt als Sommererfrischung Werke der Künstlerinnen und Künstlern der Galerie, 34 Arbeiten auf Papier und zwei Wand-Skulpturen. Und das sind dann ungefähr genauso viele Geschichten, Konzepte und Experimente.
Selbstverständlich fällt auch jedem Besucher und jeder Besucherin etwas anderes ins Auge. Mich zum Beispiel haben drei Kinder auf einer Fotografie auf die Spur von Seiichi Furuya gesetzt. Die Schwarzweiß-Aufnahme heißt „Ost-Berlin 1987“ und zeigt drei gut gelaunte, höchst aktive Knirpse, die mit schwer zu definierenden Gerätschaften zu Gange sind.
Die Farbfotografie einer Küchenspüle, auf der eine Aubergine und mehrere Bündel Radieschen liegen, hat der 1950 in Japan geborene Fotograf, der zunächst Architektur studierte, bevor er auf Weltreise ging und zu fotografieren begann, ebenfalls in Ost-Berlin aufgenommen. Es ist schwer zu erklären, warum das seltsam minimalistische Stillleben eine so große Ausstrahlung hat.
Im Foto schräg darüber hält jemand einen Apfel, der sein Gesicht verdeckt. Es könnte sich um eine Frau handeln. Was der Titel „Venedig 1985“ bestätigt. Erst im Frühsommer bin ich in Reggio Emilia mit der berühmten Serie bekannt geworden, mit Furuyas letzten Fotografien seiner an Schizophrenie erkrankten Frau, die im gleichen Jahr Suizid beging. Inzwischen lebt Seiichi Furuya in Graz. „Graz“ heißen denn auch drei hinreißende Blütenaufnahmen.
Sebastian Stumpf entdeckt man schnell: Der Typ, der in den Rachen eines Hais auf einem Plakat zu steigen scheint, das kann nur Stumpf sein. Zwei weitere Fotos zeigen ihn am Meer. Einmal scheint er in der Luft zu stehen, gleichauf mit dem Meereshorizont, so als ob er auf ihm stehen würde. Beim Gegenstück steht er am Ufer auf dem Kopf, so dass seine Füße wieder mit dem Meereshorizont abschließen, als ob er von ihm herunter hinge.
Für diese Performance ist einige Akrobatik nötig. Dann fallen auch zwei Architekturfotografien von Irmel Kamp (*1934) auf. Ihr Werk, das ähnlich dem der Bechers typologisch ausgerichtet und soziologisch interessiert ist, wird derzeit in einer großen Retrospektive im Fotomuseum Braunschweig gezeigt.
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Auf die Probe im Wald
Kein Mensch muss hier vertrieben werden, denn hier treibt sich keiner herum. Nur der Künstler Georg Thumbach. Aber der ist nicht im Bild. Im Bild ist Natur, Landschaft. Davon allerdings nur das Detail „Wald“ – wie die Ausstellung im C834 Corbusierhaus heißt.
Und Thumbach, der mit Schwerpunkt Zeichnung und Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München studierte, steht dann auch noch mittendrin im Verhau des Waldes, da wo er so dicht gewachsen ist, dass dort jemanden anzutreffen wirklich eine Überraschung wäre.
Bewaffnet mit sehr großen Papierbögen und Kohle zeichnet er dieses Dickicht spontan und nach der Natur. Das sind dann Bilder, die man so noch nie gesehen hat. Denn so mitten im Unterholz findet man sich selten wieder, wie man es jetzt glaubt, vor den wandfüllenden Zeichnungen. Manchmal muss man erst mal sortieren, wo oben und unten ist – obwohl der Künstler seinen Standort klar definiert, als aufrecht im Wald stehender Mann, der sich weder bückt noch hinlegt oder sonst wie mit der Perspektive experimentiert.
Es ist der Wald selbst, das Nadelgehölz mit seinem unwahrscheinlichen Gewirr der Äste und Stämme, das unsere Wahrnehmung und unseren Gleichgewichtssinn auf die Probe stellt. Je länger man dann schaut, desto orientierter wird man.
Jetzt erkennt man auch den Laubwald, der vergleichsweise offen ist und sogar kleine Wege zwischen den Bäumen aufweist. Man sieht das Sonnenlicht in den Wald fallen, sieht, wie Licht und Schatten ihn als Raum kenntlich und die Bäume, das Unterholz und das Gras sichtbar machen.
Es kann übrigens keinen besseren Ausstellungsraum gaben, als dieses Apartment im achten Stock des Le Corbusier Hauses, das in seiner luftigen, minimalistischen Anlage den denkbar größten Kontrast zum „Wald“ von Georg Thumbach bildet. Und dem es gleichzeitig doch der richtige, schlichte Rahmen ist.
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