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Die Kunst der WocheKomplexe Spiegelungen

Simon Mullans Installationen würdigen die Arbeitskultur, auch bei Alexander Basil ist das Badezimmer Schauplatz künstlerischer Auseinandersetzungen.

Alexander Basil: „Claustrophobia“, Ausstellungsansicht, Galerie Nagel Draxler, Berlin 2021 Foto: Simon Vogel

E in Fliesenleger ist Simon Mullan – allerdings der besonderen Art. Denn die überdimensionierten Badezimmerfliesen, die der Berliner Künstler an die Wände der großen Ausstellungshalle bei Dittrich & Schlechtriem installiert hat, muss man sich imaginieren. Hilfe bietet dabei eine Art Minimal art-Installation: 58 Kreuze aus Granit, in strenger Ordnung an die Wände montiert, sodass ihr Raster das Negativbild einer gekachelten Wand evoziert. Die Steinkreuze, handgefertigt aus Restposten von Steinplatten, geben der Ausstellung auch ihren Namen “Spacers“, entsprechend ihrer Funktion als Abstandshalter.

Simon Mullan funktioniert gerne Baustoffe, Arbeitsgeräte und -kleidung zu künstlerischem Material um. So hat er zum Beispiel 2018 die große Halle bei Dittrich & Schlechtriem mit blauen Monochromen bestückt. Vollkommen zu Recht hieß die Ausstellung „Blaumann“, denn die Monochrome waren aus alten, abgetragenen und entsorgten Blaumännern, also Arbeitsbekleidung, zusammengenäht.

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Nun lässt sich ein verwaistes Stück Betonröhre, das Simon Mullan in den Galerieraum gestellt hat, als seine Version des „Fountain“ interpretieren. Eines Brunnens freilich, der ausgetrocknet ist und aus dessen Abflussöffnung inzwischen ein kleines Bäumchen wächst. Irgendwie würde man darauf tippen, irgendwo im Raum sei das Tier zu entdecken, das in dieser wundersamen Plastik lebt.

Umsatz, Schotter, Einkauf

Denn so merkwürdig es klingt, Simon Mullan hat viel mehr aus dem zum Kulturpark umfunktionierten Baustoffwerk Stolpe nach Berlin transportiert, als nur dessen Firmenschild, das nun gleich zu Beginn der Ausstellung an der Wand hängt. Mehr als die Steinkreuze, das riesige Stück Abflussrohr und das Video mit Bildern von den Hinterlassenschaften des Stolper Betonwerks, wie etwa schwerem Gerät, aber auch nur ein paar Elektroleitungen, über die er von Zeit zu Zeit Begriffe wie Umsatz, Schotter oder Einkauf blendete.

Er hat darüber hinaus viel Atmosphärisches von einer Industrie- und Arbeitskultur mitgebracht, die in großen Teilen im Verschwinden begriffen ist, eine Wertschätzung für die dort erbrachten Anstrengungen, die gegenüber dem großen Bild der Globalisierung fälschlicherweise gering geschätzt werden. Seine künstlerische Auseinandersetzung mit ihren lokalen Folgen ist unbedingt sehenswert (bis 28. August, Dittrich & Schlechtriem, Linienstr.23, Mo-Sa 11-18 Uhr).

Komplexe Selbstbespiegelung

Das Badezimmer ist auch bei Nagel Draxler zentraler Schauplatz einer komplexen künstlerischen Selbstbespiegelung. Alexander Basil, 1997 in der russischen Weißmeer-Hafenstadt Archangelsk geboren, begegnet sich dort in einem beängstigendem bis komischen Ausmaß selbst.

Der Künstler, der als Protagonist seiner Bilder immer nackt auftritt, sieht sich gleich dreifach in der Waschtischbatterie widergespiegelt, er zerfließt unter Dusche während seine Mini-mes wie kleine Äffchen auf ihm hocken. Es nicht sicher, ob sie sich gemeinsam im Wasser vergnügen oder ob er sich von ihnen verfolgt fühlt und er sich auflösen möchte.

Dass die ambivalent zu deutenden Szenarien großartig und ergreifend sind, liegt nicht zuletzt an seinem malerischen Können. Mit dem fein gezeichneten, gekräuselten Körperhaar und dem unwiderstehliche Blick seiner Mandelaugen hat er visuell für sich einen Charakter entwickelt, der ähnlich einem dieser unsterblichen Comic-Charaktere, in jeder Situation unsere Aufmerksamkeit hat und unsere Gefühle. Es braucht also nicht vieler Worte für seine Kunst (bis 14. August, Nagel Draxler, Weydinger Str. 2/4, Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 12-18 Uhr).

Nur ein Bild zeigt den bekannten Jason Martin: Für „Untitled (Mixed white/Brilliant yellow deep/Caribbean blue)“ von 2020 hat der britische Künstler Ölfarben auf eine Aluminiumplatte aufgetragen und wellenartige Muster in die noch feuchte Farbe gezogen. Für vier andere Arbeiten hat er Aquarellpapier benutzt, auf das er je eine Farbe wässrig auftrug, sodass hellere und dunklere Flächen entstanden, mit Schlieren und Wirbeln dort, wo sie aufeinander treffen.

Rhetorik des Farbauftrags

Eigentlich ist es ja ein Kinderspiel, dieses „mal schauen, was ich mit der Farbe machen kann, wenn ich da noch ein bisschen mehr Wasser drauflaufen lasse“. Aber so funktioniert Malerei, das Kinderspiel handelt von der Rhetorik des Farbauftrags und seinen Folgen für die Wahrnehmung eines Bildes.

Jason Martin ist Teil der Gruppenschau „Reise ans Mittelmeer“ der Buchmann Galerie. Der Titel leuchtet sofort ein, angesichts der Arbeit „Westwind – travail situé“ (2010) von Daniel Buren. Wie immer sehen wir Streifen, wie immer exakt 8,7 cm breit. Doch weil die sechs schmalen Stoffbahnen mit ihren hellblauen Streifen auf weißem Canvas an der Wand über sechs Ventilatoren angebracht sind, die sie fröhlich in die Luft heben, erinnert man sich an sommerliche Markisen und den eleganten Schatten, in dem sie Platz bieten.

Die Welle, die Balthasar Burkhard (1944-2010) fotografiert und Schwarzweiß als großes Tableau gedruckt hat, trägt nun den Titel „Normandie“ (1995) und passt daher nicht so recht ans Mittelmeer. Und doch ist sie ein so grandioser Ausdruck von Sommer und strahlendem Sonnenlicht, dass sie unbedingt unter „Mittelmeer“ zu verbuchen ist.

Noch eine zweite Fotografie des Berner Fotografen ist ausgestellt, wieder ein großes Schwarzweißformat mit dem schlichten Titel „Himmel“ (2003) und hier nun ist die Rhetorik der Farbe so ambivalent, dass man den Dunst und die Schleier eines sommerlichen Sonnentags am Himmel zu erkennen meint, aber auch schon das Dunkel eines drohenden Gewitters (bis 14. August, Buchmann Galerie, Charlottenstr. 13, Di-Sa 11-18 Uhr).

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Brigitte Werneburg
war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.