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Die Kunst der WocheUnerwartetes aus 100 Jahren

Ein Gewinn: Die Schau „L’invitation au voyage“ bei Esther Schipper. Umgeben von aufkratzendem Grün: Skulpturen von Mathis Altmann bei Efremidis.

Cui Jie, „International Space Station“ (Ausschnitt), 210 x 500 cm, 2019 Foto: © Cui Jie; Courtesy the artist and Pilar Corrias, London

D ie hellgrüne, mit abstrakten Hakenornamenten gemusterte Tapete könnte fast schon wieder hipp sein. Überhaupt lässt sich die Familie von heute, der Papa mit angesagtem Patriarchenbart, leicht in diesem Ambiente vorstellen. Schöne, bedenkliche Ironie, wo doch Almut Heise ihr „Großes Wohnzimmer“ schon als Anachronismus betrachtete, als sie es 1968 auf die Leinwand bannte. Bekanntlich liebte sie dieses überraschend langlebige Biedermeier der 40er und 50er Jahre. In distanzierter Referenz zum Siegeszeugs der Pop art fand sie dort die reizvollsten ihrer mit peniblem Pinselstrich auf die Leinwand gebrachten Szenen.

Almut Heise ist mit drei Gemälden in der Ausstellung „L’invitation au voyage“ bei Esther Schipper vertreten. Die ausschließlich von Künstlerinnen bestrittene Malerei-Schau umfasst eine Zeitspanne von fast hundert Jahren und entpuppt sich dabei voller Überraschungen. Auf das Jahr 1925 sind die Aquarellzeichnungen aus der Bretagne datiert, die man jetzt nicht unbedingt Hannah Höch zugeschrieben hätte. Anders als der „Garten“ von 1948, eine für sie typische Collage. 2021 fallen dann Sarah Buckner mit “Here! here! (dogs)“ auf, Sojoumer Truth Parsons mit “July Tree“ oder Isa Melsheimer mit ihren Gouachen Nr. 472 und 473: krummbeinige Hunde im städtischen Grün, dessen Sonnenlicht beschienene, farbstarke Abstraktion und zuletzt leichte, abgehobene Architekturszenarien.

Interessant wie einzelne Positionen oft gewinnen im Umfeld anderer Konzepte. Leiko Ikemura etwa hat mir selten so gut gefallen wie hier, mit ihren Großformaten und deren Landschaften, die dank der Technik der Temperamalerei wie hingetuscht erscheinen. Und sofort in meine imaginäre Sammlung aufgenommen hätte ich Cui Jie mit der „International Space Station“ (2019), einer über zwei Meter hohen und fünf Meter langen Leinwand. Die chinesische Künstlerin (*1983) lässt die Architektur der Station unter einem, die Leinwand beherrschenden, monochrom grausilbern schimmernden Mesh-Layer aufscheinen, an den Rändern zeigt sich das Bunt der darunter verborgenen Farbschichten.

Die glamouröse Ästhetik des „wir“ – und andere Mythen

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Die Ausstellungen

Esther Schipper, bis 27. Juni, Potsdamer Str. 81E, Besuch entsprechend der bekannten Covid-bestimmungen

Efremidis, Mathis Altman: Butcher Block, bis 12. Juni, Ernst-Reuter-Platz 2, Besuch entsprechend der bekannten Covid-bestimmungen

Verdeckte Bilder auch bei Efremidis: Spiegelnde Stahlplatten erlauben nur fragmentarische Ansichten der unterliegenden Videoloops in Mathis Altmanns „Butcher Block“-Serie mit LED-Wandskulpturen und Leuchtbildern. Der Hinweis, dass der Fokus der zerstückelten Bilder auf unserem zeitgenössischen Arbeitsstil liegt, liefern im Raum Leuchtschriften in der Typografie des skandalträchtigen Co-Working-Unternehmens WeWork. Sie besagen dann auch „wedont“, wedontwork“, „wewontwork“.

Sinnfälligerweise wurde die Galerie speziell mit einem grellfarbenen Teppichboden ausgelegt, der den ganzen Raum in grünes Licht taucht. Das Grün, das üblicherweise mit Entspannung assoziiert wird, wirkt hier durchaus stressfördernd, denn alles sieht in seinem Licht ziemlich speiübel aus. Wozu es passt, dass man sich schon medizinischer Hilfe sicher ist, dank der blinkenden LEDs des bekannten grünen Apothekerkreuzes an der Wand.

Mathis Altmann, „Soft Skills“, 2020 Foto: Courtesy of the artist and Fitzpatrick Gallery

Doch die absurden Verfremdungen der Branding-Strategien der Immobilienwirtschaft und ihrer Co-Worker von Architekten über Büroentwickler bis hin zu Apotheke, Shusi-Bar und Schüsseldienst, sie bleiben eben Zeichen an der Wand.

Altmanns Kunst zielt nicht auf Aktionismus. Sie zielt auf Beobachtung, Schärfung der Wahrnehmung, Distanzgewinn über Spott und Ironie, wobei sie die glamouröse Ästhetik dieses „wir“ als eines dieser Mythen des Alltags keineswegs unterschlägt. Vielmehr zieht sie daraus ihren eigenen Attraktions-Gewinn.

Interessant wäre es noch, anlässlich dieses ohne weiteres als verständlich vorausgesetzten „wir“ die Rolle der Künst­le­r:in­nen in der Selbstständigenarbeitswelt, die sich über und um das Büro vernetzt, genauer zu betrachten. Sind sie doch zunächst zwangsläufige Wegbereiter des Vordringens der Entwickler in unbekannte Gebiete der Stadt und deren Umfeld, genauso wie in unbekannte Gefilde gestalterischen Denkens, um dann Opfer des so initiierten Booms zu werden, der ihnen die günstigen Flächen und Räume genauso wie deren Ästhetik wegnimmt.

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Brigitte Werneburg
war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.
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