Die Kulturgeschichte der Enthauptung: Bis der Arm müde wird
Von der gängigen Bestrafungspraxis in der Antike bis zu den Ritualmorden des „Islamischen Staats“. Eine Kulturgeschichte des Köpfens.
Die symbolischen Darstellungen reichen bis zu den Fresken-Gemälden zurück, auf denen der ägyptische König Ramses II. circa 1200 v. Chr. mit einer Hand das Haar eines Gefangenen greift und mit der anderen Hand eine Axt schlagbereit hält. Tatsächlich war die Hinrichtung durch Enthauptung seit der Antike eine gängige und weit verbreitete Bestrafungspraxis.
Bei den Kelten beispielsweise war diese Methode so gängig, dass die Römer nach der Eroberung ihrer Gebiete einen Kulturschock erlitten und den Kelten die Praxis der Enthauptung verboten. Aber nicht etwa deshalb, weil sie die Enthauptung für barbarisch hielten, sondern weil sie sie als Bestrafung allein bei ehrwürdigen Personen für angebracht sahen.
Im Römischen Reich nämlich wurde diese Hinrichtungsart nur bei Bürgern des römischen Staates angewandt, meistens bei Aufständischen, die sich der Regierung widersetzten. Angehörigen des einfachen Volkes hingegen schlitzte man zur Bestrafung mit einem Schwert oder Messer den Bauch auf oder kreuzigte sie.
Die Hinrichtung mit Schwert oder Axt bedeutete für den Enthaupteten einen ehrenvollen Tod. Diese Instrumente hatten im Vergleich zu anderen Schneidewerkzeugen auch schärfere Klingen, was einen schnellen und schmerzloseren Tod brachte. Zwar schreibe ich „schmerzlos“, nach wissenschaftlichen Untersuchungen können bei Enthaupteten aber noch etwa zwölf Sekunden lang Anzeichen eines Bewusstseins nachgewiesen werden.
Der Kopf fiel beim zehnten Schlag
Aristokraten oder Soldaten, die den Tod anordneten, gaben dem Henker erhebliche Geldsummen, damit dieser sein „Geschäft“ – die Hinrichtung – in einem Zug erledigte. Dennoch soll der schottischen Königin Mary etwa erst beim dritten Schlag der Kopf vom Leibe abgetrennt worden sein, und Gräfin Margaret Pole von Salisbury, die noch unglücklicher war, fiel der Kopf erst beim zehnten Schlag ab.
Eine Weiterentwicklung der Enthauptungspraxis erfolgte durch die Franzosen in Form der Guillotine. Bis zur Französischen Revolution wurden nur Adlige durch Enthauptung, Bürger dagegen durch Erhängen umgebracht. Erst die Revolutionäre gewährten das gleichgestellte Tötungsrecht und führten damit die Guillotine-Praxis umfassend ein. Die Guillotine war anders als das Richtbeil frei von menschlichem Versagen und konnte einen schnellen Tod garantieren.
Der Guillotine fielen letztlich vor allem die „Kinder der Revolution“ zum Opfer. In der Zeit der Schreckensherrschaft von Mai 1793 bis Juli 1794 kamen von den linsgesamt 40.000 Getöteten mindestens 15.000 Menschen durch ihren Einsatz ums Leben, zudem wurden die Hinrichtungen auf großen Plätzen vor Tausenden von Bürgern in furchterregenden Shows praktiziert.
Auch die europäischen Kolonialmächte befleißigten sich des Enthauptens auf äußerst entwürdigende Weise. Nicht selten wurden Köpfe auf Schlagstöcke gepresst und zur Schau gestellt, als symbolische Verachtung gegenüber den Besiegten. Die händische Enthauptung war in Britannien bis 1747, in Finnland bis 1825, in Dänemark bis 1892 und in Norwegen bis 1905 eine offizielle Hinrichtungsart.
Enthauptung im Islam
Die Hinrichtung durch die Guillotine wurde in Algerien, Belgien, Griechenland und Italien bis 1875, in Luxemburg, Monaco und der Schweiz bis 1940, in Schweden, Tunesien und Vietnam bis 1960 angewandt. In ihrem Heimatland Frankreich gar bis 1977. Das Fallbeil, das die Deutschen seit dem 17. Jahrhundert anwandten und womit im „Dritten Reich“ über 16.500 Leute geköpft wurden, kam zuletzt in Westdeutschland im Jahr 1949 und in Ostdeutschland im Jahr 1967 zum Einsatz.
Das erste Beispiel der Enthauptung als Bestrafungspraxis in der islamischen Welt wurde vom Propheten Mohammed aufgestellt. Angeblich soll Mohammed in seiner ersten Biografie „As-sîra an-nabawiyya“ – das Original ist verschollen –, laut Ibn Ishaq (704–768 n. Chr.) und anderer Autoren offenbart haben, dass bei der legendären „Grabenschlacht“ bei Medina das Wohngebiet des jüdischen Banu-Quraiza-Stammes auf Befehl Gabriels am 15. April 627 n. Ch. umzingelt wurde, weil die Hinterbliebenen den Mekkanern Hilfe geleistet hatten.
Obwohl sich die Männer dieses Stammes – laut islamischer Quellen zwischen 400 und 900 an der Zahl – in Gefangenschaft befanden, wurden sie enthauptet; Kinder und Frauen wurden versklavt, Hab und Gut vereinnahmt. Die meisten Enthauptungen soll Ali, Schwiegersohn des Propheten Mohammed, vollzogen haben. Ali soll von den Enthauptungen so ermüdet gewesen sein, dass er das Schwert ständig von der einen in die andere Hand habe wechseln müssen. Der Prophet selbst soll das Geschehen von seinem Zelt aus beobachtet haben.
Zur Enthauptung gibt es auch einige Stellen im Koran, so heißt es etwa im 4. Vers „Qital“ (Krieg) des Mohammed-Abschnittes: „Begegnet ihr im Krieg Ungläubigen, schlagt ihnen die Köpfe ab; und wenn ihr ihnen überlegen seid, nehmt sie als Geisel; ist der Krieg beendet, lasst sie entweder ohne Gegenleistung oder gegen Lösegeld frei; wenn Allah wollte, hätte er sich auf andere Weise an ihnen gerächt; er will aber damit die einen von euch durch die anderen prüfen. Und denjenigen, die auf Allahs Weg getötet werden, wird er ihre Werke nicht fehlgehen lassen.“
Die „Ungläubigen“
Doch was bedeutet es, wenn es heißt: „Begegnet ihr im Krieg Ungläubigen“? Im Krieg ist es gemeinhin so, dass bei einer direkten Auseinandersetzung eine Partei die andere tötet, verletzt oder gefangen nimmt. Weshalb aber wird der Ausdruck von der „Begegnung mit Ungläubigen“ gebraucht? Diese Behauptung kann als Vorwand dafür dienen, jedem, der die Souveränität und das Recht eines Gotteskriegers leugnet, als „Ungläubigen“, als kafir, den Kopf abzuschlagen.
Dieser Koranvers zusammengenommen mit einigen anderen Versen (u. a. al-Baqara 216, 256; an-Nisa 89, al-Maida 32, 35), die den Dschihad legitimieren, kann zeigen, dass, sobald ein Zustand als „Krieg“ und ein Widerstand als „Unglaube“ definiert wird, es durchaus im Sinne Allahs ist, jeden Gegner zu enthaupten.
Es gibt Theologen, die diese Handlungsanweisungen zum Töten im Kontext der Epoche erklären, in der die Koranverse von Allah „herabgesandt“ wurden. Damit vertreten sie die Ansicht, dass die Verse im historischen Zusammenhang bewertet werden müssen und im Widerspruch zum heutigen Islam stünden. Doch wurde die Enthauptung neben anderen Tötungspraktiken in der gesamten islamischen Geschichte durchgehend praktiziert.
Etwa in der Zeit des islamischen Reiches, das von der Westsahara bis nach Spanien reichte. Die Berberdynastie der Almoraviden hat nach der Schlacht bei Zallaqa im Jahr 1086 rund 24.000 Kastilier enthaupten lassen. Ihre Leichen wurden in Form eines Minaretts aufeinander gestapelt. Ein Muezzin (islamischer Gebetsrufer) soll auf den Leichenberg gestiegen sein, um von dort aus die Menschen zum Gebet zu rufen.
Das Symbol des Sieges
Die Osmanen, deren Rechtsordnung sich teilweise aus mongolischem und teilweise aus islamischem Recht ergab, vollzogen ebenfalls Enthauptungen, jedoch nicht so häufig wie etwa die Mongolen. So wurden zum Beispiel nach dem 1. Kosovo-Krieg im Jahr 1389 der serbische König und einige Geiseln enthauptet oder nach dem Varna-Krieg im Jahr 1444 der ungarische König Wladislaw. Nach der Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 wurde auch der byzantinische Kaiser enthauptet und dessen „kostbarer“ Kopf anschließend von Ort zu Ort geführt, als Symbol des Sieges zur Schau gestellt.
Im Jahr 1456 wurden der bosnische König Stephan und seine Söhne enthauptet. 70 Jahre später wurden in Bogdan 2.000 Menschen die Köpfe abgeschlagen, was den größten Enthauptungsfall der Osmanischen Geschichte darstellt. In der Übergangsperiode zur türkischen Republik gab es offiziell nur eine einzige Enthauptung: Am 23. Dezember 1930 köpfte ein selbsternannter Gläubiger des Nakschibendi-Ordens in Menemen einen Unterleutnant.
Darüber hinaus gibt es unverifiziertes Fotomaterial und Zeugenaussagen, nach denen in den Jahren 1937 und 1938 im Rahmen der türkischen Invasion im ostanatolischen Dersim 50.000 bis 70.000 Alewiten und Kurden ermordet und unter anderem enthauptet worden seien. Des Weiteren erinnere ich mich an Erzählungen, laut denen der JITEM, Geheimdienst und Terrorabwehr der türkischen Gendarmerie, festgenommenen PKK-Mitgliedern Ohren und Nasen abgeschnitten hat und sie anschließend enthauptet haben soll.
Im Irak, in Katar, Jemen, Iran und Saudi-Arabien wurde ohne Unterbrechung über die gesamte Geschichte hinweg enthauptet. Im Irak gab es bis zum Jahr 2000 die Enthauptung als Hinrichtungsart, doch gibt es sie heute nicht mehr. In Katar, Jemen und Iran ist die Enthauptung als Strafmaß weiterhin Teil der Verfassung, aber sie wird seit geraumer Zeit nicht mehr praktiziert.
Der Kopf in Richtung Mekka
In Saudi-Arabien dagegen sind Vergewaltigung, Ehebruch, Ermordung, Konversion in eine andere Religion, Hexerei, bewaffneter Raub, Handel mit Betäubungsmitteln und langfristiger Konsum von Betäubungsmitteln nach wie vor unter Strafe gestellt und können durch Enthauptung auf öffentlichen Hinrichtungsplätzen geahndet werden.
Die Hinrichtungen in Metropolen wie Riyadh, Dschidda und Dhahran werden nach dem Freitagsgebet durchgeführt. Die Verurteilten werden in ein weißes Gewand gekleidet, die Augen mit einem schwarzen Klebeband verbunden, die Hände auf dem Rücken gefesselt, der Kopf in Richtung Mekka gerichtet. Dann wird das Urteil verlesen, und ein Henker verrichtet das Geschäft mit einem Schwert. Auch bei Frauen wird diese Praxis angewandt. Im Jahr 2010 etwa wurden 47 Frauen enthauptet.
Bevor wir zum IS kommen, noch eine Anmerkung: Sie erinnern sich sicherlich daran, dass die radikalen Organisationen der islamischen Welt, vor allem aus Palästina, in den 1970er Jahren Flugzeuge entführten. Seinerzeit war es symbolisch gesehen sehr wichtig, die Macht über den Himmel zu haben.
Autobomben waren wiederum in den 1980ern quasi in Mode. In den 1990ern verbreiteten sich Selbstmordattentate. Und Geiseln aus westlichen Gesellschaften zu nehmen und Lösegeld einzufordern, wurde zuletzt ein Trend, da die Terrorvereinigungen immer mehr Geld benötigten.
Der Islamische Staat
Nach der Ermordung des Wall-Street-Journal-Reporters Daniel Pearl im Februar 2002 in Pakistan durch die sunnitische Vereinigung Lashkar-i Cengv (LeJ) waren plötzlich immer mehr Hinrichtungen dieser Art zu beobachten. Insbesondere im Irak entführten islamistische Terroristen Hunderte von US-Amerikanern, Türken, Kurden, Arabern, Koreanern, Bulgaren, Engländern und Nepalesen und ermordeten über 150 Geiseln, weil sie für deren Freilassung kein Lösegeld bekommen hatten. Sie begannen, demonstrativ Videoaufzeichnungen von Enthauptungen ihrer Geiseln im Internet zu veröffentlichen.
All diese Grausamkeiten passierten auch deshalb, weil bedeutende Islam-Interpreten der Moderne wie Sayyid Qutb und Maududi den Koran nicht mehr als historischen, sondern als universell gültigen Text interpretierten und damit den Weg für einen neuen Fundamentalismus ebneten. Nicht nur der IS, sondern auch viele andere islamistische Vereinigungen führen die Enthauptungspraxis ganz offensichtlich auf den Koran zurück. Wer Ungläubiger ist, darüber entscheidet derjenige, der die Waffe in der Hand hat. Die implizite oder explizite Zustimmung der sunnitischen Gemeinde zu dieser Entscheidungsgewalt, macht die Vorfälle zum kollektiven Verbrechen.
Der Beitrag, den die Terrorvereinigung IS zu dieser barbarischen Tradition leistet, besteht in einzelnen oder massenweise und offen zur Schau gestellten Hinrichtungen. Die Gräueltaten werden als große Show inszeniert, um so die gesamte Bevölkerung zu terrorisieren. Der türkische AKP-Minister Emrullah Isler äußerte sich dazu folgendermaßen: „Sie töten wenigstens ohne zu foltern.“ Mit „sie“ meint er die Terrorvereinigung IS und misst damit deren Verbrechen noch einen humanen Wert zu.
Interessant ist aber: Wenn der IS Muslime in Geiselhaft nimmt und massenhaft erschießt oder enthauptet, hält er es nicht für nötig, eine große Show daraus zu machen. Doch bei der Enthauptung oder Hinrichtung von Geiseln aus westlichen Kulturen werden die Geiseln in orangefarbene Kleidung gesteckt – in Anspielung auf die irakischen Gefangenen in Abu Ghraib. Die Hände werden ihnen auf den Rücken gebunden. Und dann wird ihnen mit einem kurzen Messer erst der Hals aufgeschlitzt, anschließend werden sie enthauptet. Laut eines englischen IS-Aussteigers wird diese Praxis zuerst an Hühnern trainiert.
Zeitalter der Barbarei
Die Enthauptung ohne Schwert oder Axt geht bis in die antike Zeit zurück. Weil diese Waffen als „edle“ Werkzeuge galten, war das Messer ideal, um Opfer zu demütigen und einen besonders schmerzhaften Tod zu bereiten.
Als Historikerin bringe ich es zwar fertig, nüchtern zu sein, aber wenn ich als gewöhnlicher Mensch einen Blick auf diese Geschichte werfe, ist das im Koran als „Ashraf-i maluqat“ – der mit höchster Ehre geschaffene Mensch – beschriebene Menschengeschlecht in meinen Augen das Grausamste, Brutalste und Ehrloseste unter allen Existierenden. Der IS wiederum, der mich unter dem menschlichen Aspekt durch seine unfassbaren Gräueltaten beängstigt, lässt mich unter dem historischen Gesichtspunkt eher kalt, da die Anzahl der Ermordeten durch den IS in der Geschichte der Menschheit – relativ gesehen – keinen gravierenden Wert darstellt.
Und dafür muss man nicht einmal um Jahrhunderte zurückdenken, sondern sich nur einmal die Verbrechen der Nazis, Stalinisten, Maoisten vergegenwärtigen oder die seit 2003 in beide Richtungen andauernden Massaker zwischen Sunniten und Schiiten im Irak.
Und doch ergeben die Massaker des IS ein Bild, das zeigt, wie die islamische Welt im Hinblick auf Modernisierung anderen Glaubenssystemen weit hinterherhinkt, wie eine große Mehrheit der Bevölkerung im Nahen Osten sich immer noch im Zeitalter der Barbarei befindet: ein übelerregendes, verstörendes Bild, das uns einen einzigartigen Spiegel vorhält.
Übersetzung: Kemal Astare, Bearbeitung: Fatma Aydemir. Das Original erschien in der türkischen Onlinezeitung Radikal
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Ministerpräsidentenwahl in Sachsen
Der Kemmerich-Effekt als Risiko
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt