Kommentar von Bernward Janzing zu den Kernfusionsträumereien der FDP: Phantomkraftwerke
Wie bitte? Da versteigt sich die Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger im ZDF auf die Frage, wann das erste deutsche Fusionskraftwerk ans Netz gehen könnte, doch tatsächlich zu der Aussage: „In zehn Jahren.“ Vielleicht, räumt sie dann zwar ein, könne es auch noch „etwas länger“ dauern, aber man dürfe eben keine zu geringen Ambitionen haben. Doch solche Zeiträume sind nicht ambitioniert – sie sind vielmehr entweder naiv (wenn die Ministerin es tatsächlich nicht besser weiß) oder aber unredlich. Denn Forscher, selbst jene in den USA, denen der große Erfolg im Labor gerade gelang, würden so absurd kurze Zeiträume nie und nimmer in den Raum stellen. Sie wissen schließlich, was es bedeutet, einen so hochkomplexen Prozess, den man bislang noch immer in der Kategorie Grundlagenforschung verorten muss, praxistauglich zu machen.
Also warum dann solche abstrusen Aussagen einer Ministerin? Womöglich vorsätzlich als energiepolitische Nebelkerze. Es ist durchaus denkbar, dass die FDP-Politikerin den Eindruck zu erwecken versucht, man könne angesichts des technologischen Durchbruchs die verbliebenen deutschen Atomkraftwerke vielleicht ja doch noch als „Brücke“ nutzen – bis sie in naher Zukunft nahtlos durch Fusionskraftwerke abgelöst werden.
Doch vor solchen energiepolitischen Schlussfolgerungen sollte man sich hüten. Jeder Energiepolitiker tut gut daran, die jüngste Meldung aus den USA als das zu betrachten, was sie ist: wissenschaftlich zwar hochinteressant, aber energiepolitisch einstweilen irrelevant. Das gilt zumindest für all jene Entscheidungen der Energiepolitik, die im laufenden Jahrzehnt anstehen. Denn auch die neuesten Meldungen ändern nichts daran, dass die Umstellung auf eine CO2-arme Energieversorgung national wie international nicht darauf warten kann, dass aus der Kernfusion tatsächlich eine unerschöpfliche Energiequelle wird. Zumal man eines Tages die ökonomischen Fragen stellen müsste. Sollte irgendwann die heute schon spottbillige Solarstromerzeugung auch noch ebenso billige Speicher zur Seite gestellt bekommen, könnte die Fusion auch schlicht daran scheitern, dass sie nicht konkurrenzfähig ist. Denn dass ein Fusionsreaktor enorm aufwendig konstruiert sein müsste, davon ist auszugehen.
Deswegen: Freuen wir uns mit den Forschern über ihren Durchbruch. Freuen wir uns darauf, dass auch die Fusionsforschung noch so manche wissenschaftliche Erkenntnis bringen wird, deren Tragweite wir heute noch nicht kennen. Aber lassen wir uns in der Energiepolitik nicht von einem Phantomkraftwerk irritieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen